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Krebs

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Ein Krimi

Vorbemerkung: [Brüste heißen Mammas. Wie Lymphknoten heißen, weiß ich nicht. Ich nenne sie jetzt mal Nymphen.]
1. Mammas & Nymphen
Einst hatte ich 2 Mammas. Eine wurde aber bösartig. Da hat man sie von mir entfernt. 10 ihr nahestehende Nymphen, führte man ebenfalls ab. Ich war erschüttert, hielt ich die Nymphen doch für meine Verbündeten, die mich verteidigten und vieles in meinem Leben in Fluss hielten. Deshalb fragte ich: "Wieso die Nymphen?" "Vorsichtshalber. Die Nähe macht sie verdächtig. Sie könnten Mammas Botschaften verbreiten", sagte man mir. Und nach ihrer Vernehmung stand fest, dass 2 davon tatsächlich sehr auffällig erschienen. "Wir werden sie alle noch genauer unter die Lupe nehmen. Geben Sie uns 2 Wochen Zeit, dann werden wir aus ihnen alle Informationen rausgeholt haben", sagte die Oberkriminale. "Welche Informationen meinen Sie?" fragte ich. "Nun, alles geben sie nicht her. Aber wir haben unsere Erfahrungen. Wir kennen unsere Pappenheimer." "Welche Erfahrungen?" wollte ich wissen. "Es ist so, wir können nicht sagen, wohin sie feindliche Botschaften weitergegeben haben, aber wir erkennen, ob sie es überhaupt getan haben." "Und dann? Was nützt das? Was machen Sie mit der Information?" hakte ich nach. "Dann stürmen wir ihr Haus, Frau Ziemes, und schießen auf alles, was sich darin befindet", verheißte mir die Kriminale. "Wie, darin bin doch auch ich", wollte ich es nicht glauben. Aber doch: "Machen Sie sich keine Sorgen, Sie erholen sich wieder, die anderen aber nicht", antwortete sie. "Ich erhole mich?" konnte ich es immer noch nicht fassen. "Ja, in der Regel schon. - Glauben Sie mir, das ist das einzige, was man tun kann, um der Lage Herr zu werden." - Eh, ja, so ist das also. Sehr seltsam. - "Ich weiß nicht, wie es anderen geht, ich habe davor Angst", merkte ich an. "Das ist ganz natürlich. - Aber wie gesagt, machen Sie sich keine Sorgen; gentechnisch geschulte Fachkräfte werden anschließend sofort versuchen, Sie zu reanimieren. Unsere Erfahrungen sind diesbezüglich fast durchweg positiv." Ah ja, dachte ich nun. Mehr fiel mir dazu jetzt nicht mehr ein. - "Wir melden uns dann in 2 Wochen bei ihnen", verabredete die Kriminale mit mir.
Es gab nun Tage, an denen ich dachte, dass meine Mamma doch gar nicht so schlimm war. Und die Nymphen fehlten mir sehr. Aber, wenn es stimmte, was die Kriminale gesagt hatte, dann waren die Nymphen ja gar nicht mehr auf meiner Seite und dann wären bald alle bös zu mir und das wäre allerdings nicht schön. Es soll dann sogar ein Komplott entstehen, mit dem Ziel, mich zu töten. - Unglaublich, da lebt man jahrelang in Eintracht mit den Leuten und dann sowas.
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Vorbemerkung: [Ein Port ist ein für die Dauer der Chemotherapie fest in der Brust gelegter Zugang für die Tropfkanüle. Aufkleber muss man sich in der Klinik bei jedem Abteilungswechsel bei der Aufnahme holen, damit die Behandlungen verwaltet werden können, darauf steht Name und Adresse.]
2. Der Port
Das Telefon klingelt. Die Oberkriminale ist dran. Man wisse jetzt, dass drei Nymphen die Botschaft gestreut hätten und man wolle sich mit mir treffen, um den Tag X vorzubereiten. Ich solle wie gewöhnlich das Haus verlassen, man würde mich dann unterwegs kontaktieren und mich zum Revier fahren, um mich für die Aktion vorzubereiten.
Auf dem Revier hat man in einem speziellen Raum eine Ausrüstung für mich bereit gelegt: Einen Prothesen-BH, Thrombosestrümpfe, eine Perücke, einen Port und Aufkleber. Geschultes Personal zieht mich blitzschnell aus und streift mir geschickt Prothese, Strümpfe und Perücke über. "Wofür ist das?" frage ich. "Damit erkennen wir sie besser", sagt die Kriminale. "Ach, wird dann nicht auf mich geschossen?" wage ich zu hoffen. "Nein, wir wissen dann, wen wir wiederbeleben müssen", werde ich ernüchtert. "Und mit den Aufklebern müssen sie bitte vor Aktionsbeginn unbedingt so viele potentielle Zielscheiben wie möglich markieren. Kleben sie sie auf die Rücken oder Schuhe der Personen, ganz egal, Hauptsache sie sind markiert." "Und was ist das?" will ich wissen und zeige auf den Port. "Das ist ein Port", antwortet mir ein Kriminaler mit weißen Schutzhandschuhen und einem Skalpell in der Hand, "den setze ich jetzt mit einem kleinen Schnitt in ihrer Brust ein. Er ist der Zugang zu ihrem Blutkreislauf. Über ihn können wir sie an- und abschalten." "Wieso wollen Sie mich abschalten?" zucke ich vor dem Skalpell zurück. "Das wollen wir doch gar nicht", sagt die Oberkriminale in eindringlich beruhigendem Ton, "es kann nur eventuell sein, dass es wirklich das Beste für Sie ist." "Aber ich werde dann wieder angeschaltet?" will ich mich vergewissern. "Wir werden es versuchen", sagt die Kriminale. "Wie, nur versuchen, ich denke, das ganze wird überhaupt nur veranstaltet, um mir das Leben zu retten?" "Ja schon, aber wir können eben nichts versprechen. Sie müssen uns schon vertrauen. Oder wie wollen Sie allein ihr Problem lösen ?"
Das weiß ich nicht. Ich lasse mir den Port legen, ziehe mich wieder vollständig an, packe die Aufkleber ein und fahre mit dem Bus zurück nach Hause.
Irgendwie sehe ich sexy aus mit der Brustprothese, den beinhohen Strümpfen und der voluminösen Perücke, stelle ich vor dem Spiegel fest. Aber auch fremd. Sehr fremd. - Wie würde ich allein mein Problem lösen ? - Sozialpädagogisch? Sinnlos! Per Selbstmord? Schwachsinn! - Ich weiß es nicht. - Ich kämme mir die Haare und lege mich schlafen. - Plötzlich schrecke ich auf: "Wann ist überhaupt der Termin?" rufe ich aus. Ach, scheiß drauf.
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3. Wer sind die Verschwörer ?
Der Termin steht nun fest und rückt näher. Ich versuche unauffällig zu bleiben, damit die Verschwörer nichts merken. Es ist seltsam zu Hause. Nett, wie immer. Verlogenes Pack, denke ich. Die schaffen es doch glatt, mich anzulächeln und zugleich meinen Tod vorzubereiten. Plötzlich durchzuckt mich eine furchtbare Erkenntnis: Genau das tue ich doch gerade selbst. Ich lächele sie an, aber plane ihren Tod. Was ist, wenn nur ich hier zu Hause der Verschwörer bin? Wenn mich diese Kriminalausweisvorzeiger nur benutzen?
Aber warum sollten sie das tun? Was hätten sie davon? Meine Familie könnte denen doch egal sein; außer mir verlässt doch nie einer das Haus. - Es geht um mich! Die wollen mich umbringen, das ist es. Und ich öffne denen auch noch Tür und Port.
Jetzt wird mir schwindelig. Diese Paranoia ist ja furchtbar. Egal ob so rum oder anders rum. Das ist einfach nicht meine Welt. Ich schaue mich im Spiegel an. Unfassbar, da glaube ich nicht an einen Gott, aber verkleide mich wegen einer so paranoiden Theorie. Ich hab sie ja wohl nicht mehr alle. Dem mache ich jetzt ein Ende. Naivität hin oder her.
Ich rufe durchs Haus: "Versammlung!" Als alle neugierig im Gemeinschaftsraum auftauchen und sich im Halbkreis gesetzt haben, ziehe ich meine Perücke vom Kopf und streife Brustprothese und Thrombosestrümpfe ab. "Sieht viel besser aus", würden sie normalerweise sagen, aber ich strahle aus, dass es um mehr geht, also schweigen sie und warten ab. Ich mache nun die Runde und ziehe Aufkleber von Rücken, Hosen, Schuhen und Ärmeln. Das verblüfft die Betroffenen. "Das sind Zielscheibenmarkierungen", sage ich, "Man sagte mir, dass unter euch Verschwörer wären, die meinen Tod planten. Alle sollten erschossen und nur ich gerettet werden. - Ich will jetzt von euch wissen, wie ihr zu mir steht und was an der Sache dran ist!"
Von links beginnt nun jemand sehr vetraut mit mir zu sprechen, von rechts hinten berührt mich jemand sanft, dann packt er plötzlich zu, hält mich fest. Noch mehr Hände und Arme machen sich an meinem Brustkorb zu schaffen. Mein Herz rast. Der Port! Ich schreie "((((( Nein!)))))" ----- Nassgeschwitzt wache ich auf. - Mann, ist das krank!
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Fortsetzung folgt ggf.





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19.07.05 (1), 06.08.05 (2), 08.08.05 (3)
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