utez.de - Ute Ziemes
Brustkrebs-Startseite

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Woche 11
01.08.05 - 07.08.05


Montag, 01.08.05
Die bisherige Gymnastik reicht nicht mehr. Ich gucke mir die Übungen an, die in der Broschüre der Dt. Krebshilfe stehen und probiere sie aus. Sie sind gut und genau das, was ich jetzt brauche, um weiter zu kommen. Sie liegen genau an meiner aktuellen Schmerzgrenze, die kurz vor 90 Grad ist. Sobald die also keine Herausforderung mehr sind, kann ich über 90 Grad gehen und werde dazu Krankengymnastik beantragen, wie die Physiotherapeutin mir riet. Die Übungen muss man exakt in der angegebenen Reihenfolge machen, dann ist man am Schluss sogar zusätzlich entspannt, steht da. Und das stimmt sogar. Ich mache zusätzlich noch die zwei Übungen gegen Lymphödem, die ein paar Seiten weiter stehen, kann ja nix schaden. Das alles soll jetzt vorerst mein tägliches Programm sein. Hinzu nehme ich noch eine Übung von vorher, bei der ich im Liegen die Wirbelsäule im Nierenbereich gegen die Matratze drücken muss. Und ich werde darauf achte, dass ich täglich auch noch zusätzliche Anforderungen habe. Entweder aus meinem Alltag oder ich spiele mit dem Luftballon oder presse einen Ball oder sowas. Notfalls ziehe ich zwischendurch meine Tischkreise oder krabbele mit den Fingern die Wand hoch, wie mein Frauenarzt es mir immer vormacht.

Dienstag, 02.08.05
Nach dem Frühstück Gymnastik.
Ich will mich auf das Gespräch in der Klinik vorbereiten und lese was zu Chemo-, Hormontherapie + Betrahlung. Mein Kopf wehrt sich aber gegen Trockenübungen.
18 Uhr Gespräch mit Dr. ... (Entlassungsarzt), der mir die Ergebnisse der histologischen Untersuchung des bei der OP entfernten Gewebes mitteilen und mir einen Überblick vermitteln soll, was sich daraus für Empfehlungen für das weitere Vorgehen ergeben.
Der Termin beginnt damit, dass der Arzt fragt, ob die Fäden schon gezogen wären. "Gezogen?!" sage ich. Er: "Ach so ja, gekürzt." - Okay, das wäre also geklärt. - Ja, sage ich, da wäre aber einer übersehen worden. Er sucht nach dem entsprechenden Werkzeug, muss es woanders herholen und schneidet dann den Faden ab. Er begutachtet die Narbe. Ich mache auf die Verhärtungen aufmerksam, die ich in der Achselhöhle und am Ende der Narbe gefühlt habe. Er tastet, spürt es und sagt: "Das ist  OP bedingt. Nichts, das ihnen Sorge bereiten müsste, das geht weg." Ich frage, ob der Narbenbereich jemals weicher und weiter wird. Er würde sehr spannen, fühle sich miserabel an und das sähe deshalb auch reichlich verkrüppelt aus, besonders am Ende der Narbe (Richtung Achsel). Er sagt, dass die Narbe im Laufe der Zeit viel weicher würde und die Spannung in dem Bereich auch weg ginge. Das dauere aber noch. Das gelte auch für das Ende der Narbe. Für ihn sähe alles bis jetzt sehr gut aus. Sollte am Schluss eine bestimmte Stelle dennoch nicht okay sein, dann könne nachgebessert werden. Das ginge mit örtlicher Betäubung. Außerdem könne man später sowieso auch über einen Wiederaufbau der Brust nachdenken. - Ja, gut, dass es die Möglichkeit gibt, aber wenn diese Narbe hier nix werden sollte, wie soll denn dann erst eine aufgesetzte Brust aussehen? denke ich. Von den Schmerzen etc. mal ganz abgesehen.

Ich ziehe mich wieder an und wir wechseln vom Untersuchungs- in's Besprechungszimmer.
Der Arzt ergänzt nun erst noch etwas zum Narbenthema: Ich könne die Narbe mit Ringelblumensalbe oder Bepanthensalbe massieren, das mache das Gewebe weich, helfe also auch da, wo ich sie als besonders knubbelig empfinde.
Er teilt mir die Ergebnisse der Gewebeuntersuchung mit:
- Der Tumor war riesig (5,5 cm)
- Es ist gelungen, ihn komplett + ausreichend gesäumt von gesundem Gewebe zu entfernen
- Der Tumor war HER2-negativ
- Der Tumor hatte eine Menge Östrogen-Rezeptoren. Sonst für kein Hormon.
- 9 Lymphknoten wurden entfernt.
- 3 Lymphknoten davon erwiesen sich als befallen, einer von den dreien war schon vom Krebs zerstört (Kapselbruch)

Er erklärt mir, was diese Ergebnisse bedeuten:
- Es hätte sich bewiesen, dass die Brustamputation die einzige Möglichkeit gewesen sei, da der Tumor tatsächlich so groß gewesen sei, wie angenommen.
- Dass der Tumor HER2-negativ gewesen sei, sei gut. Er weiß nicht, wie er mir die Bedeutung dessen erklären soll, aber ich begreife, dass die Krebsvariante weniger bösartig war, als sie hätte sein können.
(Später lese ich nach, was HER2 bedeutet. Es geht dabei um einen Rezeptorstatus den man bestimmen kann. Er sagt etwas darüber aus, wie sehr das tumorige Gewebe auf Wachstumsfaktoren reagiert. HER2-negativ bedeutet, dass es nicht so doll darauf reagiert und es sich somit nicht um eine schnell + unkontrolliert wachsende Krebsvariante handelt. Ich nehme also an, dass dadurch die Heilungschancen durch Therapie höher sind, da so der Krebs voraussichtlich nicht schneller ist als die Chemie.)

- Dass Lymphknoten befallen waren, mache eine Chemotherapie unbedingt notwendig. Welcher Art der Cocktail denn sein müsse, frage ich. Er weiß nicht, wie er das beantworten soll. Sagt was von "entsprechend ihrem Gewicht, ihrem allgemeinen Gesundheitszustand" etc. "Es gibt doch härtere und mildere Cocktails", grenze ich ein. "Na ja, bei ihnen waren Lymphknoten befallen", setzt er zur Antwort an, weiß aber dann nicht so recht weiter. "Also der härteste Cocktail!?" versuche ich es zu beschleunigen. "Ja", sagt er. Ich würde insgesamt 6 x etwas kriegen, dazwischen läge immer eine Pause von 3 Wochen. Das ginge also über 18 Wochen. Man wolle damit in der nächsten Woche beginnen. Aber, ob dann nicht die Heilung erst mal abgeschlossen sein sollte, werfe ich ein. Das wäre doch schon ganz prima verheilt, meint er. Das würde reichen? frage ich. Ja, das reicht, meint er. Ob bei mir eigentlich in letzter Zeit ein(e) Herz-Medizinischer Fachbegriff durchgeführt worden wäre, will er nun noch wissen. Ich sage, dass vor nicht allzu langer Zeit mal ein EKG gemacht worden wäre. Das würde nicht reichen, sagt er, die andere Untersuchung müsse man also noch machen. - Er teilt mir mit, dass ich diese Woche noch ein Gespräch mit Frau Dr. ... haben würde. Sie würde mir speziell die Chemotherapie genauer erläutern und mich auch über die Risiken informieren. Dann könnte ich mir in aller Ruhe überlegen, wie ich dazu stehe und ob ich damit einverstanden bin. Wann der Termin ist, würde mir morgen früh telefonisch mitgeteilt.
- Bestrahlung sei notwendig, obwohl amputiert wurde, weil der Tumor so groß gewesen sei. Da weniger als 4 Lymphknoten befallen seien (Richtwert), müsse aber nur der Brustbereich und nicht auch noch die Achsel bestrahlt werden.
- Dass der Krebs eine Menge Östrogen-Rezeptoren aufwies, bedeutet, dass er von Östrogen gepowert wurde, wie ich schon aus der Krebsbroschüre weiß. Das macht eine Hormontherapie notwendig. Der Arzt beginnt, mir die verschiedenen Therapiemöglichkeiten aufzuzählen. Ich kürze das ab, weil ich sie kenne. (Vor Menopause: Eierstöcke ausschalten und Blockieren der Östrogen-Rezeptoren der Krebszellen.) Je nachdem ob ich dann vor oder in den Wechseljahren sei, müsse unterschiedlich therapiert werden, sagt er nochmal zu meinem konkreten Fall. "Ich bin davor", sage ich. "Ja, aber dann vielleicht nicht mehr", antwortet er. "Ach, sie meinen, falls ich zufällig während der Chemo in die Wechseljahre kommen sollte?" tue ich das ab. "Nein, nicht zufällig", antwortet er. "Wie?" frage ich verblüfft. "Nun, im Verlaufe der Chemotherapie werden die Eierstöcke  ..." Er druckst. "... sich verabschieden", beende ich den Satz. "Ja, höchstwahrscheinlich", antwortet er. Ich bin erschüttert. Mir wird klar, was das bedeutet. Meine kleine Hoffnung, dass die Ausschaltung der Eierstöcke innerhalb der Hormontherapie evtl. nur vorübergehend sein könnte, kann ich offenbar vergessen. "Aha, ich komme also voraussichtlich schon während der Chemotherapie in die Wechseljahre. Und das auch nicht nur vorübergehend", resümiere ich. "Genau", bestätigt er.  Die Hormontherapie würde direkt im Anschluss an die Chemotherapie durchgeführt und dauere 5 Jahre. "Wie lange?" frage ich überrascht; denn ich war von ein paar Monaten ausgegangen. "5 Jahre", wiederholt er. Wow. Das kann man wohl eh kaum rückgängig machen. Warum auch; danach wäre ich sowieso annähernd reif für die Wechseljahre. Und was sollte dann noch ein hin und her?

"Ach so", fällt ihm ein, "Bestrahlung und Hormontherapie starten parallel."
Ob ich noch Fragen hätte. Wenn nicht, könnte ich auch bei den Folgeterminen Fragen stellen. Oft hätte man sie ja erst etwas später.
Ich sage, dass ich im Zusammenhang mit einer anderen Krankheit noch eine Blutuntersuchung beim Endokrinologen machen lassen müsse und ob das während der Chemotherapie überhaupt Sinn mache, da ich dann doch sicher unpässlich sei und Chemie im Blut hätte. Zunächst antwortet er, dass die Chemie nur ein paar Stunden im Blut sei, damit will er aber offenbar nur auf die Unpässlichkeit eingehen, später sagt er nämlich, dass die Chemie 2 Wochen lang das Ergebnis einer Blutuntersuchung verfälschen würde und, dass ich aber in der jeweils 3. Woche eine solche Untersuchung machen lassen könnte.

Die Therapie würde mich insgesamt nicht sonderlich in Mitleidenschaft ziehen. Mir würden nur die Haare ausfallen, die kämen aber wieder. "Wenn ich Glück habe", werfe ich ein. Nur bei 2% der Patienten kämen die Haare nicht wieder und in deren Klinik sei das noch nie vorgekommen, will er mich beruhigen. (Aha, 2% findet er also wenig und er glaubt, dass die nur woanders auftauchen.) Insgesamt würde mich die Chemotherapie kaum beeinträchtigen, ich könne sogar arbeiten, glänzen mich seine Augen an.  (Hä? rufen mir jetzt allein schon meine Eierstöcke zu.) Und als hätte er das gehört, erinnert er sich jetzt selbst an das, was er zuvor gesagt hat und ergänzt nachdenklich: "Okay, Wechseljahrsymptome haben sie natürlich." Bevor ihm nun auch noch der ganze Rest einfallen wird, kürze ich ab mit den Worten: "Und ich kann kein Fahrrad lenken." - "Ach, sie sind die Briefzustellerin?" fragt er. Ich bejahe. Davon hätte ihm Frau Dr. ... erzählt.
Wo wir grad dabei sind, frage ich (nicht zuletzt als Test, inwiefern er überhaupt weiß, wie es den Leuten so geht und wann die was können) wie lange es seiner Erfahrung nach dauert, bis Arm und Brustmuskel wieder voll (geht gar nicht) einsatzfähig wären. Er überlegt und druckst und meint, das könne er nicht sicher sagen, ich solle mir aber Krankengymnastik verschreiben lassen, dann ginge es viel schneller. Dabei deutet er in Richtung Krankengymnastikabteilung des Hauses. (Da ist das wohl in seinem Gehirn abgelegt.)
Er hat also 5 Monate lang mit den Leuten zu tun und weiß nicht, wie die ihren Arm dann bewegen können.
Die werden da bei der Chemo also wahrscheinlich immer nur meine weißen Blutkörperchen kontrollieren und ansonsten werde ich auf mich allein gestellt sein. Gut zu wissen.

Voraussichtlicher Terminplan laut Gespräch ist also:
Start
Ende
Chemotherapie
nächste Woche
Mitte Dezember'05
Bestrahlung
Mitte Dezember'05
Mitte Januar'06
Hormontherapie
Mitte Dezember'05
Mitte Dezember'2010
[Vorgriff: Den Beginn der Chemo werde ich um eine Woche verschieben. Die Bestrahlung wird Ende Dez. erst vorbereitet werden und erst im Januar starten. Die Hormontherapie wird erst nach Ende der Bestrahlung (Mitte Februar) starten.]
Alles kann sich außerdem weiter nach hinten verschieben, falls die Chemo gestreckt werden muss, weil z.B. zwischendurch die weißen Blutkörperchen schlapp machen sollten und erst wieder aufgepeppt werden müssen.
Mir kommt es komisch vor, dass die Bestrahlung erst nach 4 Monaten beginnen soll. Ich schaue in der Broschüre der Dt. Krebshilfe nach, dort steht, dass sie gleichzeitig mit der Chemotherapie startet. Möglicherweise hat er mir das falschrum gesagt, weil er schon so K.O. war. Werde ich ja noch erfahren.
Ich gucke mir in der Broschüre auch die Hinweise zu möglichen Spätfolgen der Chemotherapie an; denn nur dort hatte ich eigentlich mal was zum Thema Chemo+Eierstöcke gelesen. Genau, da steht das als eventuell beschrieben, was mir aber ganz selbstverständlich passieren soll. Nun entwickelt sich in mir natürlich auch das Interesse zu den weiteren dort aufgeführten Spätfolgen etwas zu erfahren. Ich seh mich nämlich schon vom Krebs geheilt, aber untenrum totaloperiert und einen jämmerlichen Lebertod sterbend.
Außerdem wird mir nun klar, dass die Hormontherapie wohl doch anders abläuft, als ich mir das gedacht hatte. Wenn es so lange geht, werde ich möglicherweise nacheinander alle Medikamente kriegen, nicht nur die für Frauen vor der Menopause. Und dann hat man ein Thromboseproblem und kann locker auch mal Wucherungen an der Gebärmutterschleimhaut bekommen.
Aber hey, 1 x jährlich eine Ausschabung und 4 mal Silvester in Thrombosestrümpfen, was ist dagegen einzuwenden? Immerhin habe ich dann doch vielleicht schon wieder so lange Haare wie jetzt.

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Mittwoch, 03.08.05
Morgens ruft die Klinik an und nennt mir den Termin für die Besprechung der Chemotherapie. Er ist Freitag 13 Uhr.
Will Termin für ganztägige Blutuntersuchung in der endokrinologischen Praxis machen. Morgen letzte Gelegenheit vor Chemo. Das ist mir sicherer als während Chemo.
Da geht aber trotz Sprechzeit nur der AB ran. Offenbar haben die also Urlaub. Geht also nicht.

Nach dem Frühstück Gymnastik.
Mit dem Roller in die Stadtteil-City. Bei der Krankenkasse die Krankmeldung abgeben. Man sagt mir, dass die Zuzahlungsbefreiungskarte schon auf dem Postweg wäre. Ich frage auch nach eventuell notwendigen Krankenfahrten von meiner Chemo nach Hause. Die würden mir bei akuter Notwendigkeit von der Klinik verordnet, die Kasse würde das dann in der Regel akzeptieren und erstatten, kriege ich als Antwort.
Um beim Hausarzt eine Überweisung für den Endokrinologen zu holen, ist es zu spät.
Zweiten Krankmeldungsabschnitt per Einschreiben Einwurf an die Arbeitsagentur.
Bei der Apotheke nach "Bepanthen-Salbe oder sowas" gefragt. Apother fragt, was ich mit 'oder sowas' meinte. "Sowas in billiger", antworte ich. Das gibt es und die große Tube kostet etwas unter 5 Euro.
Zuhause lese ich den Beipackzettel durch. Die Salbe eignet sich gar nicht zum Massieren; denn man soll sie dünn auftragen. Selbst das tut schon weh. Da würde ich eh nicht massieren.
Nachmittags setze ich mich zuerst in die Sonne und dann mähe ich mit meinem Handmäher den Rasen. Diesmal kann ich schon beide Arme dazu nehmen. Auch sind Kurven zwar mittlerweile schon zu bewältigen, aber damit komme ich bis an die Schmerzgrenze. Deshalb entspanne ich ab und zu den linken Arm und arbeite hin und wieder nur mit rechts.
Abends trage ich nochmal Wundsalbe auf. Zufällig stelle ich fest, dass sie auch den verbliebenen Kleber der Narbenpflaster, der sich ansonsten hartnäckig hält, löst, so, dass ich ihn sanft mit dem flachen Fingernagel abschaben kann. Okay, das mache ich dann morgen fertig.

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Donnerstag, 04.08.05
Super, das Rasenmähen gestern hat meinem Brustbereich nicht geschadet, steht jetzt eindeutig fest.
Gymnastik nach dem Frühstück.
Ich schiele zu meinem Fahrrad rüber. Am Wochenende, so mein Plan, werde ich mal eine vorsichtige Fahrt versuchen, irgendwo, wo man freie Fahrt hat und nicht plötzlich reagieren muss. Notfalls schiebe ich das Rad halt wieder nach Hause. Jedenfalls will ich wissen, wo da genau meine Grenzen sind.
Narbe einsalben. Tut heute gar nicht mehr so weh. Ich kann sie leicht einmassieren. Ich verteile die Salbe auch auf dem restlichen Kleber und schabe ihn nach einer kurzen Einwirkzeit dann mit den flachen Fingernägeln ab und streife es an meiner anderen Hand ab, weil es sich sonst gleich wieder woanders festsetzt. Wow, jetzt ist die Brust endlich sauber.

Im Briefkasten ist heute mein Zuzahlungsbefreiungsausweis der Krankenkasse und das Finanzamt hat meine Anlagen zur Einkommenssteuererklärung für 2004 zurück geschickt. Prima, dann kommt da ja auch bald der Bescheid.
Ich gucke mir im Internet die Seiten des Versorgungsamtes Köln an und lade mir eine Infobroschüre und den Antrag für einen Schwerbehindertenausweis runter. So, wie es aussieht, werde ich mindestens als GdB 80 eingestuft, weil der Tumor größer als 5 cm war und mehrere Lymphknoten befallen waren. Ich stelle fest, dass tatsächlich auch jetzt erst wirklich Sinn macht, den Antrag zu stellen, weil der dazu nötige, detaillierte Befund dazu ja auch erst jetzt vorliegt. Vorher hätte ich nur GdB 30 anerkannt bekommen, da nur feststand, dass ich eine Brust amputiert bekomme/habe. Anträge von Arbeitnehmern werden vorrangig bearbeitet, steht da. Sehr wahrscheinlich werde ich dann in den Vorzug des freien Bus und Bahn fahrens erst nach der Chemo kommen. Aber es gibt noch die Möglichkeit, den Antrag online zu stellen und nur eine Seite, auf der man was unterschreiben muss, umgehend nach zu senden. Das soll ebenfalls schneller gehen, wie auch immer das gemeint ist. Ich drucke mir aber erstmal den Antrag aus, um vorbereitet zu sein, wonach ich gefragt werde. Außerdem muss ich denen ein aktuelles Passfoto mitschicken. Ob ich eins habe, das mir heute noch ähnlich sieht, weiß ich gar nicht. Evtl. muss ich eins knipsen (lassen).

Ich lege Musik auf und tanze. Wahnsinn, das geht fast wieder ganz normal. Okay, Disco Fox mit Armverrenkungen, wäre nicht möglich. Ich überlege, ob ich darum bitte, dass die Chemo eine Woche verschoben wird, damit ich vorher nochmal tanzen gehen kann. Eine entsprechende Veranstaltung ist erst nächstes Wochenende. Ich fürchte, dass ich ansonsten bis nächstes Frühjahr nicht mehr in einer entsprechend guten Verfassung sein werde.
Im Garten die Rasenkanten schneiden, die Wege kehren und ein paar abgeschnittene Zweige für den Kompost zerkleinern.
Abends trage ich nochmal Wundsalbe auf.

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Freitag, 05.08.05
Morgens alle Unterlagen und Daten rund um's Arbeitslosengeld geprüft. Da stimmt mal wieder gar nichts. Der im Bescheid berechnete Betrag ist schon Murx und überwiesen wird meist noch weniger oder gar nichts. Ich schaffe es nicht, das jetzt so gut zu klären, dass ich da gleich zur AA mit gehen könnte. Das muss ich am Wochenende mal genauer unter die Lupe nehmen, um es den Herrschaften da Anfang nächster Woche sufflieren zu können, sonst wird das doch nix.

Nach Frühstück Gymnastik und Narbenpflege.

___
13.00 Erläuterungsgespräch zur Chemotherapie.
Erstmal zur Brustambulanz, die Mappe mit OP-Bericht und Befund holen, die ich behalten kann.

Das Gespräch selbst findet in der Chemo-Ambulanz der Klinik statt. Von ihr sehe ich 3 Räume, die für mich wohl offenbar auch die einzigen sind, mit denen ich zu tun haben werde. Räume ist übertrieben; eigentlich sind es Nischen, die sich an einem langen Flur befinden und die keine Wand zum Flur hin haben. Die ersten beiden Räume sind also quasi Durchgangszimmer. Das letzte ist das Zimmer der Assistenzärztin, das eine Glastür hat. Alle Räume sind sehr klein.

              R. 1                R. 2              R. 3
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In Raum 1 befinden sich ca. 8 normale Stühle und 2 Behandlungsstühle im Halbkreis. Als ich eintreffe, sitzen da 2 Mädchen auf den normalen Stühlen, die offenbar nur auf jemanden warten und auf einem Behandlungsstuhl sitzt eine Frau mit Kopftuch und Leidensmine und hängt am Tropf.
Ich gehe deshalb erst wieder in die andere Richtung, sehe dann aber, dass ich offenbar an denen vorbei zur Ärztin gelangen muss. Ich frage die Mädchen, ob sie wüssten, wohin ich wohl müsse, wenn man mich zu einem Gespräch in die Chemo-Ambulanz bestellt hat. Die gucken nur planlos, aber die Frau am Tropf sagt mit schwacher Stimme, dass ich bis hinten durch gehen müsse, also in Raum 3. Dort gibt mir die Ärztin ein Infoblatt zu den Risiken, das ich durchlesen (und später unterschreiben) solle und bittet mich, noch kurz im Wartezimmer Platz zu nehmen. Ich frage, wo das ist und sie zeigt auf Raum 1. Also setze ich mich zu den wartenden Mädchen und der Frau, die gerade ihre Chemie kriegt. Übrigens gehören die nicht zusammen.
Ich bin entsetzt. Man kriegt die Chemo im Wartezimmer ? Andauernd laufen außerdem Leute über den Flur. Es ist total unruhig und laut. Neben dem Behandlungsstuhl plärrt ein Ghettoblaster vor sich hin, der soll die zu Behandelnde offenbar unterhalten und beruhigen. Alles zusammen ist aber einfach nur Krach und Stress. Die Patientin ist jedoch in einem Zustand, in dem sie winzigklein mit Hut ist. Würde man ihr noch einen Besucher auf den Schoß setzen, weil sonst kein Stuhl mehr für Wartende frei ist, dann würde sie nur leise weinen.

Die Assistenzärztin ist in einem Alter, dass ich ihr wohl dereinst als Erzieherin das Memory-Spiel beigebracht haben könnte und sie ist eine, die offenbar schon in einen entsprechenden Status hinein geboren wurde und ihn genutzt und nicht hinterfragt hat; denn sie wirkt hübsch behütet und ist kaum von Leben oder Persönlichkeit gezeichnet.
Sie sagt, sie wird jetzt mal drauf los reden und ich könne sie ja immer unterbrechen, wenn ich was wissen wolle. Ich spüre den Zeitdruck, unter dem sie steht. Sie wird im Folgenden dann auch die Mitteilungen so runter rasseln, oberflächlich wählen und formulieren, dass ich allein schon deshalb immer wieder unterbrechen muss, damit das Gespräch überhaupt Sinn macht. Sie springt in den Themen hin und her (Nebenwirkungen, Ablauf, Nebenwirkungen, begleitende Notwendigkeiten, Nebenwirkungen, Ablauf der begleitenden Notwendigkeiten, ...). Ich berichte es hier in einer Reihenfolge, die Sinn gemacht hätte. Und schreibe nur bei den ersten 2 Punkten dazu, wie ich mir in dem Chaos Klarheit verschafft habe.
Bei mir ginge es um eine Maßnahme mit dem Ziel der Heilung, nicht nur der Verbesserung von Lebensqualität und Lebensverlängerung. So klar hat sie selbst das nicht ausgedrückt, aber ich habe direkt unterbrochen, entsprechend übersetzt und gefragt, ob es so gemeint war. Ja, so war es gemeint.
Zugleich wäre es unbedingt notwendig, zu behandeln, da der Saum von entferntem, gesundem Gewebe zwar gegeben, aber dennoch knapp war. (Im Befund, den ich mir vor dem Gespräch im Sekretariat geholt hatte, lese ich später, dass an einer Stelle der Saum nur 2 mm betrug, während ansonsten 1 bis 1,5 cm Saum vorhanden waren.) Auch das formuliert sie nicht klar, ich unterbreche, übersetze und lasse mir die Richtigkeit bestätigen. Ob der Punkt aber nicht eher eine örtliche Bestrahlung notwendig mache, frage ich und will wissen, ob die denn nicht parallel zur Chemo anstatt erst nach Monaten stattfinden müsse. Ja, das würde eine Bestrahlung notwendig machen, die fände aber immer so spät statt. Die Chemo würde auch an der Stelle helfen, da sie im ganzen Körper wirke. Und dann müsse man anschließend trotzdem noch bestrahlen? frage ich. Ja, das wäre besser, antwortet sie. Man wisse insgesamt noch nicht so viel und ginge mit allem lieber auf Nummer sicher.
Insgesamt 6 Zyklen, alle 3 Wochen einer. Festgelegt wird der Wochentag Dienstag, den ich wählen durfte. (Montags hätte sie Schwesternschulung (ihre Augen blitzen kurz auf und sagen mir, sie macht das gerne und will das gut machen), da hätte sie lieber nicht so viele Behandlungen.) Für mich wäre bei der Wahl des Termins interessant, ob und wann ich arbeiten müsse. Das geht ? frage ich. Oh ja, sagt sie. Wie denn das, wenn man alle 3 Wochen mindestens 1 Tag ausfällt, auf welchen privilegierten Arbeitsplätzen das denn ginge ? frage ich. Mir fällt auf, dass die Frage polemisch war und ich bereue das, aber sie antwortet tatsächlich unbedarft darauf: Manche Selbständige, die sich eine Vertretung besorgen könnten, z.B., sagt sie. Die würden dann den Freitag für ihren Zyklus wählen, sich Freitag bis Montag frei nehmen, sich nach der Chemo bis einschließlich Montag in's Bett legen und dann Dienstag wieder arbeiten. Auch Ärzte würden das so machen, sagt sie. Ich erschaudere bei der Vorstellung, dass mich ein schlapper Arzt operieren würde. - Jedenfalls kann ich also ohne weiteres den Dienstag wählen; denn eine Anstellung in der Probezeit ist damit keinesfalls vereinbar, sowohl wegen der Fehltage nicht als auch wegen Aussehen und geminderter Leistungsfähigkeit nicht.
Chemo begleitend müsse ich 1 x wöchentlich (Dienstag-Dienstag-Montag) von meinem Frauen- oder Hausarzt meine Blutwerte kontrollieren lassen und die Ergebnisse der Chemo-Ambulanz zufaxen. Und ich müsse jeweils an den Tagen 1-4 sowie bei Bedarf diverse Tabletten und Tropfen für meinen Magen nehmen, wozu ich einen Plan gereicht bekomme. (Später weiß ich gar nicht, ob ich mir die Dinger über meinen Hausarzt besorgen soll oder sie in der Klinik kriegen werde.) Außerdem soll ich mir täglich selbst eine Spritze in den Bauch, für was weiß ich setzen. "Das können Sie vergessen", rufe ich aus, "ich kann nicht mal zusehen, wenn es ein anderer bei mir macht." "Gut", sagt sie, "dann lassen sie das von einem Freund oder Verwandten machen ... " "Ich lasse mir auch nicht von irgendwem(!) eine Spritze setzen", sage ich. "Es kann auch ihr Frauen- oder Hausarzt machen oder wir", sagt sie, "wir finden schon eine Lösung". (Später fällt mir auf, dass das Wochenende ein Problem sein wird.)
Außerdem wäre es gut, wenn ich mir einen Port legen lassen würde. Das sei ein fester Zugang zum Blutkreislauf, der per kleiner OP unter die Haut über der Brust eingesetzt würde. Er würde die Gefahr einer Gewebezerstörung mindern, weil er sicherstellen würde, dass die hochtoxische Chemie nicht in umliegendes Gewebe der Einstichstelle eintreten würde. Klar will ich, dass man mir nicht andauernd noch unwiderruflich das Fleisch weg ätzt.
An der Stelle frage ich nach Spätfolgen. Ich wisse ja nun schon, dass die Eierstöcke sich verabschieden würden. Ob das noch was nach sich ziehen könnte, wolle ich wissen und auch, was mit Leber und Nieren wäre.
Ich hätte doch sicher keinen Kinderwunsch mehr, oder? Doch, hätte ich, wenn ich auch nicht mehr an seine Realisierung glaubte. Sie entschuldigt sich für ihre läppsche Formulierung, bekräftigt ihren Inhalt zugleich aber nochmal. Sie tut jetzt weiterhin alles im Zusammenhang mit meinen Fortpflanzungsorganen ab. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Schulmedizin, bei einer Frau meines Alters dort eh alles abschreibt ("1961 ist ja noch nicht so alt, aber") und, dass das Risiko von Folge-Operationen in dem Zusammenhang nicht ernst genommen wird, da solche OPs nicht lebensbedrohlich sind. (oder bei 2% doch ? ;-)
Das mit Leber und Nieren überfordert sie vollends. Klar, das wären Gift abbauende Organe und die Chemie wäre hochtoxisch, da könne natürlich einiges passieren, passiere aber in der Regel nicht. Sie sagt nun, dass es da vielmehr noch ganz andere Gefahren gäbe. Es könne auch sein, dass mein Knochenmark und meine Gefäße dauerhaft geschädigt würden und ich aufgrund der Chemo Leukämie bekäme. Sie wolle mich jetzt nicht beunruhigen. Es wäre eben so, dass die Behandlung Risiken hätte, das würden die ja für mich abwägen. Ich selbst könne das ja gar nicht so schnell, deshalb würden die das für mich tun, bzw. Dr. ... (Oberarzt) würde das für mich entscheiden. Schließlich hätte ich einen Tumor, der nicht ohne wäre.
Ich lasse sie ausreden, sie ist grad so schön in Fahrt und redet sich um Kopf und Kragen. Sehr aufschlussreich.
Schließlich weise ich aber schon darauf hin, dass es bei mir um Prophylaxe ginge, dass ich keinen Tumor mehr hätte und auch keine Metastasen und auch keinen nachweisbaren Krebs, sondern, dass es nur sein könne und dies auch sehr wahrscheinlich so ist, dass noch Krebszellen in meinem Körper kursieren, die sich irgendwann bös und tödlich niederlassen könnten. Und dieses Risiko müsse ich und nicht Dr. ... abwägen gegenüber dem Risiko, das die Chemotherapie bedeute. Dazu müsse ich die Risiken aber kennen.
Ja natürlich, sagt sie. Es würden sich ja auch immerwieder Frauen dagegen entscheiden. Das müsse ich natürlich selbst beurteilen. Ich könne auch jederzeit (!) noch Fragen stellen, jetzt hätte sie aber keine Zeit mehr, ihr Terminplan sei immer (!) so voll.
Als akute Nebenwirkungen erwähnt sie Schlappheit, Übelkeit und Verstopfung. Gegen die Schlappheit könne man nichts machen, die Übelkeit jedoch müsse ich jedoch nicht akzeptieren, die solle ich melden, dagegen müsse sie dann die Medikation ändern. Falls ich zu Verstopfung neigen würde (tue ich), würde ich durch die Chemo, genau das haben. Ich müsse dann über die Ernährung was dagegen tun. Ob ich was dagegen wisse. Ja, weiß ich. - Haarausfall würde nach der 1. oder 2. Sitzung eintreten. Sie wisse von keinem Fall, wo die Haare nicht wiedergekommen wären, von 2% hatte sie in dem Zusammenhang noch nie gehört. Was das jeweils aktuelle Blutbild anbelange, würde sie die Entwicklungstendenzen der weißen und roten Blutkörperchen beobachten und früh eingreifen, wenn nötig. - Nagelbettveränderungen würden wahrscheinlich auf mich zukommen. Ob man dagegen dann was tun kann, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls brauche ich zur Mütze wohl auch noch Handschuhe. Eine Gipsmaske für mein Gesicht habe ich noch aus meiner Erzieherinnen-Ausbildung ;-)) - Damit könnte ich vielleicht sogar zu einem Vorstellungsgespräch. Vielleicht bei einem der oben genannten Selbständigen, um ihn freitags bis montags adäquat zu vertreten. :-))
Bevor man die Chemo beginnen könne, müsse noch ein Herz-Ultraschall bei mir durchgeführt werden. Den Termin dafür bekäme ich am Montag noch telefonisch mitgeteilt. Wäre das Herz nicht in Ordnung, könne keine Chemo gemacht werden.
Die Chemie, die ich bekäme, nenne man kurz TAC, weil sie aus Taxotere, Actinomycin (glaube ich, ist unleserlich, habe mir ein ähnlich geschriebenes aus einem Lexikon ausgesucht) und Cyclophosphamide bestehe.
Dass ich lieber eine Woche später mit der Chemo beginnen wolle, käme dem Ablauf sehr entgegen, da ja erst noch die Termine für Ultraschall und Portlegen sein müssten, sonst müsse man anfangs ohne Port arbeiten. (Unfassbar !) Terminlich könne man auch noch schieben. Man müsse innerhalb 6 Wochen beginnen, sonst mache es nicht mehr viel Sinn, aber wir wären dann noch gut in der Zeit.
(Hinweis: Ich habe vor Chemo-Beginn 3 Termine in der Klinik: Portgespräch, Port legen, Herz-Ultraschall. Und ich muss noch die Blutabnahme und Bauchspritzerei mit meinem Haus-/Frauenarzt absprechen.)
Schließlich fragt die Ärztin noch, wieviel ich wiegen würde und wie groß ich wäre, ob ich Allergien gegen Medikamente hätte, ob ich schon mal Kortison bekommen hätte, ob Metastasen vorlägen und ob es sonstige Krankheiten gäbe. Das braucht sie zur Berechnung der Dosis. Wobei es sie offenbar nicht stört, dass ich mein Gewicht nur schätzen kann, da ich mich nicht ständig wiege. Das mit meinem Einschlafen nach dem Essen müsse sie berücksichtigen. Es ist allerdings unklar, wie sie das ohne Diagnose dazu machen will.
(Später werde ich im Internet lesen, dass die Nebennieren Kortison produzieren und von deren Aktivität war ich ja bei einer endokrinologischen Untersuchung schon mal in einen Schlaf wie nach dem Essen versetzt worden. - Wie soll ich der Chemo-Ärztin das denn nun noch klarmachen?)
Das mit der "genau auf mich abgestimmten Chemie und Dosis", darf man also ohne weiteres sehr relativ verstehen.
Dann nimmt mir eine Schwester in Raum 2 noch 4 Röhrchen Blut ab und schickt mich zur Aufnahme, um da nachträglich Aufkleber für meine Verwaltung in der Chemo-Ambulanz zu holen

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Der Sozialdienst befindet sich gegenüber der Chemo-Ambulanz. Da gehe ich doch gleich mal rein und stelle Fragen zu den Themen 1) Hilfefonds der Dt. Krebshilfe, 2) Schwerbehindertenausweis, 3) Rehabilitation. Alles, was ich zu 1)+2) vermutete stimmt und zu 3) bekomme ich eine Broschüre, in der Reha-Kliniken mehr oder weniger beschrieben sind, aus denen ich mir eine ausssuchen kann. Die Begriffe Kur und Reha stehen angeblich für das selbe. Die Reha müsse innerhalb weniger Wochen nach Klinikbehandlung (Chemo+Bestrahlung) angetreten und entsprechend weit vorher beantragt werden. Das mache ich über sie. Die Damen im Sozialdienst wundern sich, dass sie mich nicht schon kennen, da sie doch sonst zu jeder Frau Kontakt aufnähmen, die dort operiert wird. Es zeigt sich, dass das durch meine OP-Termin-Änderung durcheinander geriet und schließlich wegen des Urlaubs einer der beiden nicht stattgefunden hat. Sie finden aber eine Akte zu mir.
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Oh Gott, diese Zerstörung, die ich mir antun soll. Wie soll ich das meinem Organismus begreiflich machen? Habe ich überhaupt noch Krebs? Das ist so theoretisch. Ich muss mir dazu nochmal einiges durchlesen.

Abends schreibe ich sehr lange an meinem Tagebuch und dem Krimi. Immer wieder unterbreche ich, um zu fühlen, was in mir vorgeht. Entsetzen geht da über in Trauer. Die Trauer muss raus. Ich gebe ihr Zeit. Vielleicht kommt sie in den nächsten Tagen durch. Sonst muss ich zu einer Beratung, dort darüber reden, damit's rauskommt. Ohne getrauert zu haben, kann ich die Behandlungen nicht machen. Ohne sie komme ich nicht dahin, dass ich hinter den Behandlungen stehen könnte. Dann würde ich gegen sie arbeiten. Das macht keinen Sinn. Ich liebe die Schulmedizin nicht, aber ich vertraue nichts anderem. Ich setze auf sie. Ich muss mir die Gründe dafür noch mal ansehen. Das mache ich morgen.

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Samstag, 06.08.05
Gleich nach dem Aufstehen beginne ich im Internet nach Krebsinfos zu surfen.
Ich muss mir klar machen, dass ich noch Krebs habe. Das ist so verdammt theoretisch. Ich muss mir nochmal alle Infos dazu in den Kopf hämmern. Ich muss spüren, dass ich Krebs habe, damit ich dagegen etwas tun will. - Ich mag mich einfach nicht für nichts vergiften.

Klar, die Therapien sind nicht ausgereift und in ein paar Jahrzehnten wird man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wie man Krebskranken sowas antun konnte. Aber jetzt weiß man nichts besseres und zugleich doch schon soviel. Klar, ich würde mir die Schulmedizin etwas ganzheitlicher wünschen und der Umgang mit mir ist nicht sehr Vertrauen erweckend, aber grundsätzlich vertraue ich ihr. Sie muss halt noch viel lernen. Und das tut sie ja auch. Das sind halt unzählige winzige Puzzlestücke, die erforscht und zusammengesetzt werden müssen. Und die Leute, die sich mit sowas beschäftigen sind halt auch in der Regel Fachidioten und tuen einem nicht gut und erwecken kein Vertrauen. Und okay, sie sind auch hauptsächlich an sich interessiert, an einem reibungslosen Arbeitsablauf und ihrem Ansehen. Und was darüber hinaus aus mir wird und wie's mir geht, ist denen doch egal. Aber weltweit haben eine Menge Menschen daran gearbeitet, dass man heute zumindest 60% der Brustkrebserkrankungen heilen kann. Und zwar mit dieser Höllenchemie. Oder ?


Scheiße, nirgends steht was genaueres über den Grund für Chemo & Co. Selbst nach der Heilungsquote muss man erst suchen. Über die Entwicklung ohne Chemo & Co. steht da gar nichts; das wäre doch mal anschaulich. Überall stehen die popeligen Nebenwirkungen ausführlich beschrieben, aber die langfristigen Risiken werden tunlichst nur angedeutet. Nur auf einer Internetpräsenz finde ich eine kritische Haltung zum Forschungsstand. Man solle kooperativ sein, schreibt die Dt. Krebshilfe. Offenbar ist damit aber nur das äußere und nicht das innere Verhalten gemeint. Den Ärzten reicht das in jedem Fall.

Ich schreibe den Bericht zum 02.08. nieder und umreiße schon mal den zu gestern. Dabei bricht die Trauer durch.
Ich trauere. Um die Zeit, die mir genommen wird. Um die Ästhetik, der ich beraubt werde. Ich trauere um meine Eizellen. Um das, was ich jetzt bin und habe. Da soll ich Gift drauf schütten. Das Kommando geben: "Ja, schüttet Gift drauf." Oh Mann.
Ich trauere und weine. Aber nicht lang genug.
Das 2. Thema "Krebsbedrohung fassbar machen" nimmt den Raum. Da schreibe ich auch dran. Das sollte ich vielleicht erstmal lassen?


Gymnastik + Narbenpflege erst vor dem Schlafengehen.
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Sonntag, 07.08.05
Gymnastik direkt nach dem Aufstehen.

Ich spüre, dass ich ein wenig weiter mit der Trauerarbeit bin und auch ein wenig mehr Krebsbedrohung fasse, aber beides noch nicht genug ist. Dazu gesellt sich jetzt auch noch Nummer 3: Die Angst. - Na prima.
Ich denke daran, wie schwer es für mich ist, zu verarbeiten und mich einzustellen, allein schon, weil da so ein Mädel die Chemie zuführt. Da muss ich ja alle Vertrauensarbeit alleine leisten. Wie viel leichter es doch wäre, wenn so jemand wie die Operateurin mir das Zeug verabreichte.

Ich muss mich wärmer anziehen, weil mein Brustbereich sonst schmerzt und Verspannungen hervorruft. Der Brustmuskel ist kälteempfindlich und der Narbe bekommt Gänsehaut gar nicht. - Das bemerke ich schon, seit es nicht mehr so warm ist. Heute hatte ich mich jedoch erstmals wieder zu kalt angezogen, weshalb ich daran erinnert werde. - Waschen macht deshalb übrigens auch keinen Spaß.
Der Brustmuskel reagiert sogar stark, wenn ich etwas Kaltes trinke. Das fühlt sich dann an, als würde die Flüssigkeit in die Brust laufen.

Ich schreibe den Bericht zum Gespräch vom 05.08.

Es regnet andauernd. Ich fahre doch nicht Fahrrad. Montag oder Dienstag ist es vielleicht schöner. Außerdem bin ich auch noch immer niedergeschlagen und (ver)arbeite innerlich. Ich nehme mir vor, mich heute hängen zu lassen. Alles, was ich mit meinem Bewusstsein tun kann, habe ich gemacht. Den Rest muss ich meinem Unterbewusstsein überlassen. Das wird mir schon signalisieren, wenn das Bewusstsein wieder dran ist.
Ich überlege nur noch, ob ich Einfluss darauf nehmen soll, meine Themen nacheinander zu verarbeiten und wie ich das könnte. Ich nehme mir vor, morgen Abend eine Entscheidung zu treffen, ob ich das beeinflussen will, soll und wenn ja, wie. Vorher tue ich nichts daran.


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