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Woche 14
22.08.05 - 28.08.05


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Montag, 22.08.05 (Zyklus 1/6 - Tag 7)

Ich mache einen Plan, was ich in der Chemo-Ambulanz fordern werde und wie ich das tun will.
Grobplanung des Gesprächs mit Frau Dr. ...:
Ich wolle unter 4 Augen mit ihr sprechen, es wäre intim.
Wenn dann unter 4 Augen: Es wäre nicht intim, sondern es ginge um Kritik und Forderungen, die ich hätte und die wolle ich aber unter 4 Augen mit ihr besprechen.
1) Horrortrip -> Vorwurf: Körperverletzung; Forderung: Ausnahmslos adäquat und gewissenhaft behandelt und aufgeklärt zu werden
2) Kritik: Ein Medikationszettel nach Schema 1-1-1 reicht absolut nicht.
3) Was ist wofür oder wogegen und warum ist das wie dringend wichtig? (Hintergrund z.B.: Horrortrip, außerirdischer Stuhlgang) -> Forderung: Aufklärung, damit ich frei entscheiden kann, wofür und wogegen ich was tun muss und tun will. -> Symptome erfragen und ernst nehmen. -> Beteiligung an den Entscheidungen zur Auswahl der Zusatzmedikation.
4) Gift Behandlungspass -> Frage: Falscher Eintrag oder falsches Gift? Oder Änderung? Wenn ja, warum? Was hatte ich denn nun bekommen?
5) Portschmerzen (Wahrscheinlich, weil Port zu hoch und Schlauch ungünstig verlegt wurde (Zu nah an beweglichen Teilen und mit zu spannungsstarkem Eintritt in die Vene.)
-> Forderungen:
- Das Ding darf mich nicht verkrüppeln.
- Es darf durch die Situation kein Gewebe nachhaltig geschädigt werden. Weder jetzt, noch beim Deimplantieren.
- Es darf kein Gewebe wachsen, das nachher nicht schadlos wieder entfernt werden kann und wird.
- Ich muss mich, wie versprochen, frei mit dem Ding bewegen können (Reha-Gymnastik z.B.)
- Ich muss von Schmerz befreit werden
- Maßnahmen müssen umgehend ergriffen werden (Es muss dafür gesorgt werden, dass das ganze so schnell wie mögich über die Bühne geht, damit ich die Chemo-Therapie fortsetzen kann. Mit Schmerzen geht das nicht.)
- Es muss spezialisiert-fachmännisch festgestellt werden, ob Gewebe geschädigt wird und woran der Schmerz denn nun definitiv liegt und wie er behoben werden kann. Dazu muss ich zu einem Fachmensch überwiesen werden, der detailliert die Ursache sowie die optimalste Lösung ermitteln kann (Er muss mit Gewebeveränderungen bei verlegten Schläuchen und mit Schmerzen im Zusammenhang mit verlegten Schläuchen besonders vertraut sein.) Ein beliebiger Arzt der Klinik reicht dafür nicht.
Keinesfalls akzeptiere ich lieblose Kurzschlussentscheidungen von irgendwem.
- Falls ein neuer Port gelegt werden muss, dann von jemandem, der das so gut kann, dass es nachher nicht wieder unnötig schmerzt.
6) Kritik: Die Chemo-Ambulanz ist quasi telefonisch nicht erreichbar. Somit ist die Versorgung nicht gesichert.

Fraglich: Wie oft oder selten ist die Ärztin, die ich bereits kenne überhaupt nur die wesentliche Ansprechpartnerin? Stimmt mein Eindruck, dass sie die Abteilung managed? Oder ist die Gewissenlosigkeit ein übergeordnetes Problem? Vielleicht kann ich ja doch nicht anders, als eine höhere Etage einbeziehen?

Es klingelt an der Haustür. Ich frage per Sprechanlage, wer da sei. "Deutsche Telekom", sagt die Frau am anderen Ende, "ich muss mal in allen Haushalten was nachsehen." Ich assoziiere Stromzähler, Gaszähler. Ja, aber Telekom, was will die nachsehen und wo auch noch in den Haushalten? "Wo müssen Sie denn in den Haushalten dran?" frage ich. Nein, sie müsse nirgendwo dran. Es wäre nur so, dass die Telekom die Minutenpreise ändere und da müsse sie in den Haushalten auf den letzten Rechnungen nachsehen, ob das schon passiert sei. (Hä?) "Also bitte", sage ich genervt, "dann lassen sie das doch in ihrer Verwaltung nachsehen, da haben sie doch alle Rechnungen." "Das machen wir aber nicht automatisch", sagt die Frau. "Das ist ja völlig abstrus", sage ich, "hier kommen sie jedenfalls nicht rein." Ich lege den Hörer auf und horsche noch kurz, ob sie es noch woanders versucht. Nein, sie gibt, zumindest dieses Haus, auf.
Unglaublich, denke ich, jetzt behaupten die auch schon frech, von der Deutschen Telekom zu sein. Und ob die wohl auch einen gefälschten Mitarbeiterausweis gehabt hätte. ...
Langsam wird mir klar, dass ich jetzt zwar unser Haus, aber nicht die ganzen anderen vor dieser Betrügerin bewahrt habe. Wie dumm von mir, denke ich. Ich hätte sie rein lassen und dann die Polizei rufen sollen. - Ob ich wohl jetzt noch hinterher rennen soll? Ja, aber was dann? Etwa rufen "Betrügerin, Betrügerin!" Und dazu noch in Krebsbademantel gekleidet und mit Psychofall-Frisur ausgestattet. - Wer von uns beiden dann abtransportiert würde, ist ja wohl klar.

Ich rufe bei der Verbraucherzentrale an. Die wissen doch vielleicht was, um weitere Haushalte zu schützen. Sicher sind die Betrüger doch mit der Masche nicht nur hier unterwegs. Und, dass die Betrüger vorgeben, von der Deutschen Telekom zu sein, ist doch vielleicht auch für deren Info-Arbeit wichtig und neu.
Es klingelt lange. Dann meldet sich eine ältere weibliche Stimme. Ich erzähle, was ich gerade erlebt habe und frage,  was man tun könnte, um weitere Haushalte zu schützen und sage, dass ich es leider verpasst hätte, die Polizei zu rufen. Die Dame am Telefon sagt, dass man im Vorfeld dagegen nichts unternehmen könne, die Verbraucherzentrale würde ja besonders derzeit schon viel vor solchen Leuten warnen. Für Arcor wäre man derzeit z.B. auf Vertragsfang. Ob die Polizei überhaupt gekommen sei, bezweifelt sie, aber einen Versuch könnte es wert sein. Mir würde sie raten, mich bei der Telekom zu beschweren. (Hä?) "Wie, bei der Telekom?" frage ich. "Na, welche Methoden deren Mitarbeiter anwenden", sagt sie. "Die Frau war doch gar nicht von der Telekom", stelle ich klar. "Ach so, das kann natürlich auch sein", sagt die Expertin für Verbraucherfragen. "Das meine ich doch, dass die neueste Masche offenbar ist, sich als Deutsche Telekom auszugeben. Da fällt man doch eher drauf rein. Das haben sie ja vielleicht noch nicht in ihren Infos drin. "Kann sein", sagt die Desinteressierte.
Es ging der Form halber äußerlich noch kurz weiter, inhaltlich aber nicht.
Offenbar verstehe ich die Verbraucherzentrale nicht. Wo gibt man bei denen denn solche Infos hin und wer sagt einem das?

Aber die Telekom kann ich tatsächlich anschreiben. Die wollen sich ja vielleicht davor schützen, dass sich Fremde als ihre Mitarbeiter ausgeben und Leute darauf reinfallen.


Ich rufe wiederholt (immer besetzt) in der Chemo-Ambulanz an, um zu erfragen, um wieviel Uhr denn nun die Blutkontrollfaxe jeweils eingehen müssten. Besonders der Termin vor der jeweils nächsten Chemo sei ja kritisch. (Wann frühestens Kontrolle, damit sie aktuell genug ist? Wann spätestens Faxeingang, um noch Chemie bestellen zu können?) Ich erreiche eine Krankenschwester. Die müsse erst die Ärztin fragen, die aber gerade in einem Gespräch sei. Ich würde umgehend zurück gerufen.
Ich hatte die Frage schon per Fax am Freitag gestellt, aber keine Antwort erhalten.
2 Stunden später kommt der Rückruf: Möglichst (quasi unbedingt) Montag erst Kontrolle (Frauenarzt) und Befund (Labor). Das Fax müsse spätestens Dienstag 8 Uhr vorliegen.

Ich dusche und gehe dann zum Hautarzt, wegen meiner Akne/meines Ausschlags, die/der sich ausbreitet. Das Zeug schwillt anfallsartig immer wieder mal an und juckt dann wie Hölle.
Ich müsse 2 Stunden warten oder ein andermal wiederkommen, sagt die Sprechstundenhilfe. Ich sage ihr, dass ich dann lieber 2 Stunden wartete, da ich derzeit eine Chemotherapie machte und nie wüsste, wie es mir am nächsten Tag ginge. Ich frage, ob ich solange raus gehen könne. Ja, eine Stunde schon, sagt sie, dann müsse ich aber die restliche Zeit hier warten. Ich bitte sie, mich dann ausnahmsweise vom Flur rein zu holen, weil ich lieber vor der Praxis warten würde, da ich Menschenansammlungen meiden müsse, weil ich keine Abwehrkräfte mehr hätte. Sie sagt, dass ich pünktlich in einer Stunde vorbei kommen und mich bei ihr melden solle (und plant dabei innerlich irgendwas, das mir entgegenkommen könnte).

In der Pause rufe ich bei dem Verein wiralle e.V. an, um da mal zu fragen, was die von meinem Forderungs- und Vorgehensplan gegenüber der Chemo-Ambulanz halten. Die kennen den Betrieb strukturell angeblich und können vielleicht einschätzen, ob das Sinn macht oder nicht. Die Beratungszeiten sind dienstags und donnerstags morgens zwischen 10-13. Also werde ich es morgen versuchen.
Bin mal gespannt. Hoffentlich sind die bei der Uniklinik nicht so involviert, dass die sich persönlich angegriffen fühlen.

Eine Stunde später bin ich wieder beim Hautarzt und melde mich bei der Sprechstundenhilfe. Ich muss mich kurz in einen Raum mit 4 Menschen setzen und halte mir dort ein Tasschentuch vor Mund und Nase. 2 Minuten später geleitet mich die Sprechstundenhilfe in einen separaten Behandlungsraum, der sonst wohl eher für OPs reserviert ist. Und nur weitere zwei Minuten später ist dann der Arzt schon da. Ich bin verblüfft, dass das so schnell geht. Der Arzt ist offenbar an diesem Entgegenkommensplan bewusst beteiligt, begrüßt mich warmherzig und fragt, was er für mich tun könne. Ich sage, dass ich juckende Akne und Ausschlag von einem Antibiotikum hätte, zeige die Stellen und sage, dass ich vor allem gerne etwas gegen den Juckreiz unternehmen würde. Er fragt, um welches Antibiotikum es sich handele, wofür ich es bekäme, in welcher Stärke und ob ich es noch immer nähme. Ich weiß ausreichend viel von dem Namen, bin mir aber nicht sicher bzgl. der Stärke und sage, dass es Teil der Begleitmedikation zur Chemotherapie sei und dass ich es bereits abgesetzt hätte, weil es einen Höllen-Trip bei mir verursacht hätte. Er guckt sich die Stellen an und sagt, dass dies nicht von dem Antibiotikum verursacht worden sei, da es sich um Steroidakne handele. Ich wundere mich und erwähne vorsichtshalber, dass es aber exakt gleichzeitig mit der Wirkung des Antibiotikums aufgetreten sei. "Dennoch", sagt er, "das kommt nicht davon". Ob ich Kortison bekäme oder bekommen hätte? Ja, sage ich. In der Infusion war wohl welches und Tag 1-4 musste ich welches nehmen und das wird nun auch noch 5 mal innerhalb der nächsten 5 Monate wiederholt werden. Er zieht ein besorgtes Gesicht. Ich habe den Eindruck, dass er der Kortison-Gabe kritisch gegenübersteht und er nun überlegt, ob er das sagen soll. Er tut es nicht und ich will es dann auch nicht aus ihm raus quälen. Er wird schon seine Gründe haben. Möglicherweise die gleiche Ohnmacht, wie ich. Okay, die Steroid-Akne kommt also vom Kortison.  Ich frage, ob meine Haut durch die Steroidakne bleibende Schäden behalten würde. "Nein." Er denkt jetzt laut: "Ich überlege, was ich ihnen verschreiben soll. Das blöde ist ja, dass man ihnen so gut wie nichts mehr geben darf, was verschreibungsfähig ist." (Wow, ein Mitdenker. Krebskranke haben Kosten, das glaubt man nicht. Und zugleich wird dieser Mehrbedarf seit Hartz IV nicht mehr anerkannt. Arme Leute mit Krebs können sich die Medikamente daher nicht leisten. Zuzahlungsbefreiung nützt ihnen nichts, wenn das Medikament nicht verschreibungspflichtig ist.) Ich erlöse ihn, indem ich sage, dass ich zum Glück noch die Möglichkeit hätte, mich zu verschulden. Man könne mich nach meiner Genesung ja dafür erschlagen. Er schreibt mir was auf. Und er gibt mir seine Diagnose schriftlich für die Chemo-Ambulanz mit. (Gut, denke ich, die sollen sehen, was aus dem wird, was die da tun.) Er fragt nun noch, wo ich den Tumor denn hätte, wenn ich solch harten Stoff bekäme. Ich sage, dass ich ihn an der Brust gehabt hätte, die aber schon amputiert worden wäre und ich kürzlich mit der Chemo begonnen hätte und, dass es bei mir um vollständige Heilung ginge, da ich derzeit keine Metastasen hätte. Ich frage noch nach zwei anderen Stellen an meinem Körper, unter anderem nach einem krebsverdächtigen Mal, mit dem ich just vor der Brustkrebsdiagnose eigentlich zu ihm wollte. "Nein, das ist ein ganz normales, unauffälliges Muttermal", stellt er fest. Ich bin beruhigt. (Später am Tag freue ich mich; denn wenn das so ist, gefällt es mir sogar.) Der Arzt verabschiedet sich wieder warmherzig von mir und wünscht mir alles Gute.
Als ich die Praxis verlasse, hallt in mir nach, wie aufgehoben ich dort als Patientin war und muss vor Rührung weinen.
Das Medikament muss leider in der entsprechenden Größe bestellt werden, so dass ich es erst morgen werde nutzen können. Na ja, aber dann hält es wohl auch die 5 Monate.
Medikamente heute:
Cefasel zum Gemüse; Mundspülung Salviathymol zwischendurch mild + abends nach Vorschrift; Wundsalbe für Narbenpflege

Reha:
Gymnastik


Meine Maläste heute:
Juckanfälle Steroid-Akne (Kühlen mit feuchtem Lappen hilft, sonst kratzt man sich das auf.); Stuhlgang etwas zu dünn; Rückgratschmerzen; Von da ausgehend Muskelschwäche; Außer Atem bei langsamem Fahrradfahren (Mangel roter Blutkörperchen? - Als hätte ich geringeres Lungenvolumen); Ausstrahlung wie ein Häufchen Elend; Port: Stechende Schmerzen bei Armbewegungen, verursacht durch den verlegten Schlauch; Immer noch Herzrasen, nach Essen auch mit starkem Beben; Zahnfleisch beginnt sich zu entzünden (Weiche Zahnbürste ein Muss; Mundspülung top: Salviathymol N)

Essen heute:
2 Vollkornzwieback mit Butter; 1 Joghurt mit Apfelmus und 2 Teelöffel Milchzucker und etwas Müsli; 1 Nuss-Schoko-Riegel aus dem Reformhaus; 1 Apfel; 2 einfache Zwieback mit Butter; Zucchini-Zwiebel-Kartoffel-Gemüse mit Mettwurst

Getränke heute:
5 Kaffee; 20 Wasser

Viel geraucht


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Dienstag, 23.08.05 (Zyklus 1/6 - Tag 8)

Blutbildkontrolle beim Frauenarzt. Sprechstundenhilfe erledigt ihre Aufgabe wunderbar.
Wie's mir geht, interessiert den Arzt nicht wirklich. Er dreht an einer Berechnungstabelle für die Patientin vor mir. Klar, Krankengymnastik könne er mir verschreiben. "Kann ich aber mit dem Port-Schmerz nicht machen."
Das mit dem Port müsse der richten, der's verursacht hat.

Zu Hause versuche ich das Info-Telefon des Vereins wiralle zu erreichen. Da ist offenbar Hochbetrieb; denn selbst bei der Nutzung des Leitung-Jetzt-Frei-Melde-Service reagiere ich offenbar langsamer als eine andere.
Um ca. halb 12 habe ich aber Glück. Und das bleibt auch so; denn die Dame am anderen Ende weiß wirklich Bescheid, kann wesentliche Anstöße geben und helfen. Auf eine sehr erfrischende Art werden mir da ganz neue Horizonte eröffnet. ("Sie wollen ihren Port da noch mal unter die Lupe nehmen lassen, wo er verfuscht wurde? Was soll dabei rauskommen?") Mir werden Alternativen genannt, wird gesagt, wie ich sie in Anspruch nehmen kann und vor allem wird mir vermittelt, wie selbstverständlich es ist, das auch zu tun und nicht duldsam jeden Wahnsinn mitzumachen.
Also, wenn weiter diese Klinik, dann meine Kritik und Forderungen gleich an eine höhere Etage richten und da am besten gleich die Person als UnterstützerIn wählen, die mir gefällt. Die müsse nicht geschützt werden, sondern ich. Das würde in der Klinik auch gehen; denn das was da schief laufe, wäre von oben keinesfalls gewollt, wie sie mir aus ihrer Kenntnis heraus versichern kann.
Da mein Vertrauen aber schon so zerrüttet sei, rate sie mir eher, die Chemo-Therapie woanders fortzusetzen. (Hier wird jetzt meine Scheere im Kopf deutlich.) "Aber, was soll das nützen? Wenn ich hier abbreche und dann doch sehr wahrscheinlich irgendwo lande, wo es ähnlich ist. Ich habe doch keine Zeit, zu experimentieren. Ich verliere durch die Chemie an Kraft. Noch bin ich streitbar. Irgendwann demnächst aber werde ich alles so abhängig und ohnmächtig hinnehmen, wie andere. Ist nicht jede Klinik letztlich so?" - "Wollen Sie nicht lieber in die Chemo-Ambulanz einer niedergelassenen Onkologin wechseln?" fragt sie. "Ja doch, klar. Das gibt es?" wundere ich mich. "Ja, aber sicher", sagt sie. "Und das zahlt die Kasse?" frage ich. "Natürlich, Sie können frei wählen. Dort wird die bei Ihnen begonnene Chemo-Therapie dann fortgesetzt." Natürlich sei Chemo Chemo und die entsprechenden Ärzte wären quasi ein Club. Da würde mir nicht gesagt, dass vorher etwas nicht in Ordnung gewesen wäre. Aber da wäre ja vielleicht allein schon die räumliche Situation viel besser für mich. "Ja, das kann ich mir zumindest mal ansehen und in einem Gespräch auch schon meine Interessen bzgl. Begleitmedikation vortragen. Das wäre ja wahrlich angenehmer, als wenn ich dafür irgendwo auf den Tisch hauen müsste." Mir wird klar, wie eingleisig ich nur denken konnte, weil ich einfach nicht genug über die Regelungen unseres Gesundheitssystems weiß. Welche Rechte habe ich? Was steht mir zu? Welchen Markt gibt es dafür? Wie nutzt man das, was einem zusteht und möglich ist? Welche Überweisungen und Berechtigungsscheine kann man wie oft verlangen? ... Von allem weiß ich nur ein bisschen. Das reicht gerade, um mich im äußersten Notfall aufzubäumen und an der Stelle, an der ich gerade bin, zu kämpfen. Aber das reibt mich auf. Es gibt angenehmere Wege. Und wenn ich weiß, dass ich sie wählen darf, dann tu ich das doch auch. "Sprechen Sie da auch ihre Port-Schmerzen an", ergänzt die Beraterin. "Tja, aber kann ich denn damit auch egal wohin gehen? Muss ich nicht zumindest die finanzielle Verantwortung für die Korrektur an die Klinik binden?" frage ich. "Quatsch", sagt sie,"das können Sie egal wo behandeln lassen."
"Und die Bestrahlung lassen Sie wohl hoffentlich auch nicht in der Klinik machen. Davon rate ich Ihnen unbedingt ab", warnt Sie mich vorsorglich. Auch dafür gäbe es niedergelassene Praxen.
Die Anti-Hormon-Therapie würde übrigens sowieso über meinen Frauenarzt abgewickelt.
Schließlich beliefert Sie mich noch mit Adressen niedergelassener Praxen für Chemo und Bestrahlung, gibt mir die hilfreichsten Internetadressen durch und macht eine Buchempfehlung.
Bezüglich meiner Kritikpunkte gegenüber der Klinik bittet sie mich nachdrücklich, das doch alles aufzuschreiben und an eine bestimmte Stelle der Klinik zu schicken, das ginge von da aus dann auch automatisch in Kopie an sie und landete keinesfalls im Papierkorb. Meine Erlebnisse seien eine wahre Fundgrube, um Verbesserungsnotwendigkeiten aufzuzeigen. Viele Patientinnen würden die Möglichkeit dieser Rückmeldung leider nicht nutzen. Aber sie bewirke tasächlich etwas; da die Klinik sich ja zertifizieren müsse und dafür z.B. die von mir genannten Fehler gar nicht passieren dürften. Sowas käme dann da auf die Tagesordnung des (ich glaube) Beirats.
HINWEIS: Ich habe hier nur Auszüge des Gesprächs wiedergegeben, da es insgesamt 2 Stunden dauerte und prallvoll war.

Ich möchte noch ergänzen, dass die Beraterin auch erwähnte, dass sie möglicherweise alles so forsch sähe, weil sie es ja nicht für sich selbst tun müsse, sondern für andere täte. Ginge es um einen selbst, wäre die Situation ja nochmal eine ganz andere.
Stimmt, das ist ein himmelweiter Unterschied. Weil da so viel Not ist und so viel Hoffnung. Und jede Enttäuschung demontiert ein mehr oder weniger großes Stück Zuversicht. Jeder nächste Schritt wird so immer schwerer.
Ich erlaube mir also, morgen etwas weniger forsch und zuversichtlich bei der niedergelassenen Onkologie anzurufen.


Bestellte Lotion gegen den Juckreiz von Apotheke abgeholt. Neue Krankmeldung zur Krankenkasse gebracht und per Einschreiben Einwurf an die Arbeitsagentur geschickt.
Bei der Post realisiere ich erst nach 5 Minuten, dass ich inmitten einer Menschenansammlung stehe und halte mir dann schnell ein Taschentuch vor Mund und Nase. (Die Chemo zerstört meine Abwehrfähigkeit gegen Krankheitserreger. Und ich hab ja das Antibiotikum abgesetzt.) Da mich eh schon alle anglotzten, macht das mit dem Taschentuch nun auch nichts mehr. Im Gegenteil, ich höre Gehirne erleichtert jubeln: "Ah, so ist das einzuordnen."

Heute ist es aber kein Problem, angeglotzt zu werden, da meine Ausstrahlung wieder stark ist. Als Häufchen Elend war das weniger schön. Wie ein hässlich verendendes Tier, inmitten von schönem, blühendem Leben, fühlte ich mich da. Die gute Nachricht: Die Leute verstummen. Ich habe dann also nichts zu befürchten. - Oder ? - Na ja, meinen Lebenserfahrungen zufolge, sollte ich vielleicht dann doch nicht zu lange in so einer Schlange stehen. Leute sind nicht gerne stumm. Und sie sehen ja die Schuldige.

Die Frau, der ich beim Wiegen meine Telefonnummer gegeben hatte, ruft an. Ich frage, wie das Gespräch war. Es stellt sich raus, dass sie gar nicht allein dasteht, sondern im Gegenteil eine sehr Kontaktfreudige ist, jedoch den Leidensweg einer Chemo durch eine Freundin schon kennt, ihn einsam und elend findet und deshalb eine Chemo für sich ablehnt. Erst recht, wenn das nur 2 Jahre bringt. Und vor allem nur 2 Jahre mit Chemo. Nein, sie will was Biologisches versuchen, was mit Kontakten, Kochen und Freude. Dann hört sie wenigstens nicht sofort auf zu leben. Und wer weiß ...
Der Arzt hatte ihr gesagt: "Frau ..., Sie haben mit Chemo noch 1-2 Jahre zu leben." "Wie kann er das sagen?" fragt sie empört. Das sei doch keine Art. Da könne man doch sagen: "Frau ..., machen sie sich keine Sorgen, zusammen packen wir das schon." Und Chemo, was sei das für ein Angebot? "Tja, dann tschüss", hätte sie gesagt und wäre aufgestanden. Sie solle sich das nochmal überlegen, hätte er ihr noch nachgerufen, es ginge um ihr Leben. Ja, das hätte sie sich überlegt. Sie lehne eine Chemo ab. "Mit dem anderen, wer weiß, vielleicht bringt das 3 Monate mehr?" denkt sie laut, ja sie hofft es. Auf jeden Fall sollen da alle nett und warmherzig sein und positiv. Man könne einiges machen, hat man ihr gesagt. Die Wirkung sei erwiesen und anerkannt. Heilen könne man es nicht, aber den Tumorfortschritt verlangsamen, um wieviel sei nicht vorhersagbar.. Und das ganze Drumherum sei förderlich. - Sie bekäme in einigen Tagen das Infomaterial und dann müsse sie schauen, wie das bezahlt werden könne.
Im Zweifelsfall könnte ihr die geringe Lebenserwartungsprognose mit Chemo diesbezüglich vielleicht sogar noch helfen, sage ich. Die Kasse würde doch vielleicht für solche Fälle auch Ausnahmen finanzieren. Was sollte das finanziell und im Ergebnis schon für ein Unterschied sein? (Die Aussage irritiert natürlich ein wenig.) Ich erläutere daher: "Na ja, sollte die verlangsamende Wirkung des Präparats tatsächlich nachgewiesen sein, dann würde es ja das gleiche machen wie die Chemo, nur, dass es Dir davon nicht so schlecht geht. Und das zahlt die Kasse dann sicher auch. Nur mit dem Glauben an eine Wirkung, haben die es ja nicht so. Die wollen nur Geld für Medizin ausgeben, die wissenschaftlich nachgewiesen auch tatsächlich eine ist. Andererseits finanzieren die bei schlechten Diagnosen mit anerkannter Medizin aber z.B. vielleicht auch Präparate bei denen zwar nicht der volle Umfang der angepriesenen Wirkung bewiesen wurde, aber immerhin schon mal überhaupt eine Wirkung."
Jedenfalls geht es vermutlich um eine anthroposophische Methode, da zu allem Gruppen in der Nähe sein sollen und sie nur wegen der Spritzen mit einem Mistelpräparat regemäßig irgendwo hin müsste. Somit wäre sie vermutlich tatsächlich keinen Abzockern auf den Leim gegangen. Über die Wirkung von Misteln hatte ich irgendwann mal was gelesen. Ich verspreche ihr, danach nochmal zu suchen.
Ich sage ihr, dass ich ihre Entscheidung sehr gut verstehen kann. Sie wolle leben, solange sie lebe und sich nicht ab sofort und bis zum Ende massakrieren lassen. Den Weg der Chemo kenne sie, der sei kurz und ätzend. Dieser hier berge noch Hoffnung. Er sei vielleicht etwas kürzer, aber solange schöner. (Sie ist wieder irritiert. Das mit dem 'vielleicht kürzer' gefällt ihr nicht so. Aber ich lasse es stehen.) "Na ja, vielleicht, man weiß es nicht", sagt sie.
Ich frage nicht, ob sie auch nach der Prognose ohne Chemo gefragt hat, wie ich es letztens riet. Ich bin mir sicher, dass sie das nicht getan hat. Ich bin mir auch sicher, dass sie den Gedanken bislang nicht hatte und auch jetzt nicht vertragen könnte.
Heute geht es um Hoffnung und Wärme. Bäumt sich der Lebenswille auf.
Und sie hat etwas gefunden, das definitiv dazu passt.
Wir verabreden ggf. am Sonntag zu telefonieren, dann hat sie das Material schon gesichtet.
Medikamente heute:
Cefasel abends weggefallen*; Mundspülung Salviathymol zwischendurch mild + abends weggefallen*; Wundsalbe für Narbenpflege weggefallen*
; Lotion gegen Juckreiz 1x

* weil eingeschlafen nach Essen

Reha heute:
Gymnastik


Meine Maläste heute:
Juckanfälle Steroid-Akne (morgens); Stuhlgang etwas hell und  riecht zwar nach Durchfall, ist aber keiner; Rückgratschmerzen; Muskelschwäche; Außer Atem bei geringen Bewegungen (10 Stufen, 500 m langsames Radfahren); Port-Schmerzen (besonders Jacke und bestimmte Bewegungen drücken schmerzhaft auf Schlauch); Geschmacksnerven verändern ihre Wahrnehmung; Entzündungsneigung Zahnfleisch + Lippen; 1 Zahn, der sowieso schon länger nicht mehr so fest war, ist jetzt ganz locker und wirkt taub (Entwicklung wird gepuscht vom extrem starken Zähneknirschen, das der Chemie-Stress bei mir verursacht; Knirschschiene unten, Zahn oben)


Essen heute:
2 Vollkornzwieback mit Butter;  1 Joghurt mit Apfelmus und 2 Teelöffel Milchzucker und etwas Müsli (Schmeckt heute weniger süß);  1 Reformhaus-Nuss-Schokoriegel (Schmeckt heute bitter); 1 Vollkorntoast mit gek. Schinken (schmeckt lecker); 1/2 Tomate mit etwas Schafskäse + Dressing
Paprika-Zwiebel-Gemüse mit Reis + Gehacktem

Getränke heute:
5 Kaffee; 13 Wasser

Sehr viel geraucht


Blutbild:
(N=Normbereich)
weiße Blutkörperchen: 4,3
(N: 4-11)
rote Blutkörperchen: 4,03
(N: 4-5,4)
Blutplättchen: 195
(N: 140-400)
Hämoglobin: 12,7
(N: 12-16)
Hämatokrit: 36 (N: 37-47)
MCV: 90 (N: 80-96)
MCH: 32 (N: 28-32)
MCHC: 35 (N: 32-36)



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Mittwoch, 24.08.05 (Zyklus 1/6 - Tag 9)

Gestern bin ich nach dem Essen auf der Couch eingeschlafen. Und erst heute Morgen aufgewacht. Ich hatte die Tablette zum Essen vergessen, die Zähne nicht geputzt, keine Mundspülung gemacht, keine Knirschschiene im Mund und meine Narbe war nicht versorgt.
Ich wundere mich, dass ich jetzt keine Entzündungen im Mund habe und überprüfe vorsichtshalber, ob der lockere Zahn überhaupt noch an seinem Platz sitzt. Ja tut er, aber meine Schneidezähne habe ich spürbar verkürzt.
Ich putze mir also als erstes die Zähne und schaue dann, was ich frühstücken will. An meiner Auswahl wird deutlich, dass ich nun jenseits der Chemo-Nebenwirkungen bin: 1/2 Scheibe Vollkorn-Toastbrot mit Butter und Honig. (erstmals wieder Lust auf Brot; jedoch weniger Appetit)

Ich überlege, ob ich nicht erst nochmal alles sacken lassen will und erst morgen in der Onkologie anrufe.
Anruf in der niedergelassenen Onkologie. Sage, dass ich Chemo-Patientin in der Uniklinik sei, mich dort nicht mehr aufgehoben fühle und frage, ob sie ggf. Platz für mich frei hätten und ich Termin für ein Vorgespräch haben könnte. Ich bekomme einen für den 05.09.

Rest vergessen
Medikamente heute:
Cefasel zur Linsensuppe; Mundspülung abends nach Vorschrift; Wundsalbe für Narbenpflege
; Lotion gegen Juckreiz

Reha heute:
Gymnastik


Meine Maläste heute:
Stuhlgang fast wieder normal; Atemkapazität unprüfbar, da ich mich kaum bewege; Port-Schmerzen gering


Essen heute:
1/2 Vollkorntoast mit Butter + Honig; 1
Vollkorntoast mit Butter + Honig; 1 Vollkorntoast mit Butter + Honig Linseneintopf, frisch aufgepeppt mit Würstchen

Getränke heute:
5 Kaffee; 14 Wasser

Sehr viel geraucht


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Donnerstag, 25.08.05 (Zyklus 1/6 - Tag 10)

Am Klinikbericht gearbeitet.

Internetrecherche bzgl. der Gifte, die ich in der Chemo-Ambulanz bekomme. Das Gift, das die Ärztin in meinen Behandlungspass eingetragen hat, ist nur ein anderes Wort für das, das da eigentlich stehen müsste, falls das Gekrickel das Wort bedeuten soll.
Ich finde detailllierte Wirkungs- und Nebenwirkungsbeschreibungen zu den einzelnen Giften. Und weiß nun, dass iich durch Kaffeekonsum die Wirkung eines der Gifte verringere. Das hätte man mir ja mal sagen können.

Rest vergessen
Medikamente heute:
Cefasel vergessen
;  Wundsalbe für Narbenpflege

Reha heute:

Gymnastik


Rest vergessen

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Freitag, 26.08.05 (Zyklus 1/6 - Tag 11)

Am Klinikbericht und am Tagebuch gearbeitet.

Rest vergessen.
Medikamente heute:
Cefasel vergessen
;  Wundsalbe für Narbenpflege

Reha heute:

Gymnastik


Meine Maläste heute:
Portschmerzen auffallend geringer, kann Arm erstmals schmerzfrei über Kopf heben; Steroid-Akne; Mein Fortpflanzungstrakt fühlt sich inklusive Vagina seltsam an, irgendwie abgestorben; kein Stuhlgang

Mir fällt auf, dass meine Zunge schon während der ganzen letzten Zeit ab Chemo so klar ist, wie schon seit 10 Jahren nicht mehr, obwohl ich Kaffee trinke + rauche, worauf ich den Belag immer zurückführte. Woher das kommt, möchte ich aber noch erfahren.


Rest vergessen


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Samstag, 27.08.05 (Zyklus 1/6 - Tag 12)

Rasen mähen

Ich sortiere meine Tops und T-Shirts aus. Alle, die mit nur einer Brust scheiße aussehen, werden rausgeschmissen. Interessanterweise muss ich gar nicht alle brustbetonenden Tops/Shirts wegtun, manche bilden tatsächlich die neue Situation genauso sexy ab. Bei etlichen jedoch sieht die Geschichte nun total schief oder einfach nur uncool aus. Übrigens wirkt dabei nun nicht selten die Seite mit Brust abstrus. Aufgrund meines Alters sitzt meine Brust ja nicht mehr oben auf dem Brustmuskel, sondern etwas tiefer. Ohne Pendant wirkt das in manchen Shirts nun äußerst abartig. Ein Shirt, das ich mal von einer Schwester geerbt habe, ist hingegen der Hit: Da ist als Motiv vorne was drauf geschrieben und der Schriftzug spart nun exakt nur meine noch vorhandene Brust aus. Damit sehe ich aus, wie ein Gesamtkunstwerk.
Jedenfalls muss ich künftig beim Kauf neue Kriterien beachten. Die Stoffe müssen weich fallen, die Schnitte müssen fließend sein, den Standard-Shirt-Schnitt muss ich mir eine Nummer größer kaufen und eng anliegende Shirts müssen sich auch neben Kurven gleich wieder Tälern anpassen können.
Von dreien meiner Lieblingstops muss ich mich trennen. Ob ich sie behalten soll, um sie mit einem Prothesen-BH zu tragen, überlege ich noch. - Aber nein, es geht in erster Linie um mein Tragegefühl, das muss unbeschwert und gut sein, als nächstes muss ich mir darin zusätzlich gefallen und erst zuletzt müssen auch andere mich so sehen können. BHs vermitteln kein gutes Tragegefühl, besonders nicht bei Tops, die man ja bei Hitze trägt.

Wäsche waschen fahren.

Abends wirken meine Kopfhaare schütterer als sonst. Aber ich bin müde und gucke mir das erst morgen genauer an.
Medikamente heute:
Cefasel zum Abendessen; Akne-Behandlung 2x
;  Absichtlich keine Wundsalbe für Narbenpflege

Reha heute:

Gymnastik

Meine Maläste heute:
Haarausfall hat begonnen, kann aber noch nicht sicher als solcher eingeordnet werden; Steroid-Akne; Portschmerzen deutlich geringer

Heute 1. Tag Periode! (nachts)


Essen, Getränke, Rauchen, Stuhlgang ganz normal

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Sonntag, 28.08.05 (Zyklus 1/6 - Tag 13)

Zwei Schwestern und meine Mutter kommen zu Besuch. Zum Glück ist wunderschönes Wetter und wir können uns uns in den Garten setzen. Falls eine der drei eine Krankheit verbreiten sollte, die bei ihr selbst noch nicht sichtbar ausgebrochen ist, laufe ich so weniger Gefahr, mich anzustecken.
Sie bringen mir den kleinen Fernseher meines vor 5 Jahren verstorbenen Vaters mit, füllen eins meiner beiden Tiefkühlfächer mit Gekochtem, und haben etliche Kleidungsstücke dabei, die meine Schwestern nicht mehr tragen, mir aber vielleicht gefallen könnten. Unsere Figuren unterscheiden sich nicht sonderlich, so dass wir solche Aktionen immer wieder mal betreiben. Ich meinerseits biete ihnen meine aussortierten Shirts an. Beide Seiten werden fündig.

Meine Kopfhaare wirken nun noch deutlicher schütter. Es kann aber auch sein, dass das davon kommt, dass sie ein wenig nachgewachsen sind und es so nur wirkt, als seien sie weniger. Da meine Familie ihren Wuchs bewundert, nehme ich an, dass die Nachwuchsthese stimmt und ich außerdem anders drauf gucke als andere. Später am Tag wird aber klar: Nein, sie fallen tatsächlich aus. Auch meine Augenbrauen, die seit 2 Tagen immer zuppeliger wirken (sieht heute richtig gut aus), tun das nur, weil nun weniger von ihnen da sind. Meine Unterhose liegen voller Schamhaare und nach dem Duschen hole ich aus dem Abflusssieb noch etliche hervor. Mein weißer Gesichtsflaum und die gleichfarbigen Armhaare stehen struppig ab, zeigen also einen ähnlichen Effekt wie die Brauen. Auf meinen Beinen wachsen die kräftigeren und dunkleren Haare nur noch in unregelmäßigem Muster, wie ich bei näherem Hinsehen feststelle. - Haare auf den Zähnen werden mir hoffentlich bleiben. Die braucht man in der Klinik.

Abends rufe ich die Frau zurück, die ich beim Wiegen in der Klinik kennengelernt habe. Sie hat ja nun ihr Infomaterial. Sie ist nicht mehr so hoffnungsvoll und zuversichtlich. Es handelt sich doch nicht um einen eigenständigen Therapiekomplex, der auch noch beratend begleitet wird. Eine Liste möglicher Zusatzbehandlungen hat sie da, mit Namen von Ärzten, die sie durchführen. "Ja, aber wer sagt mir, was davon ich machen soll und  was das bringt?" fragt sie. Wo sie anrufen könnte und was sie tun solle, will sie wissen. Mistelspritzen kriege sie nun schon von ihrer Hausärztin. - Nach 1 Milionen Fragen, Planlosigkeit und totaler Verunsicherung mehr und immer wieder der Überlegung, was davon sie wie heilen oder ihr Leben verlängern könnte und der zugleich unterdrückten Überlegung, ob sie vielleicht doch die Chemo hätte nicht ablehnen dürfen, im Wechsel mit leidenschaftlicher Ablehnung solch brutaler und herzloser Vorgehensweisen, halte ich den Moment für gekommen, um Tacheles zu reden.
Ich spiegele ihr, dass sie verzweifelt ist und Begleitung sucht und auch tatsächlich braucht, um planvoll handeln zu können und sage ihr, dass ich mir Sorgen machte, weil sie zugleich aber dazu neige, selbst keinen ersten planvollen Schritt zu machen, sondern hin und her springe und sich ziellos mit Infos zuballere. Das mache sie, weil sie Angst hätte vor den Tatsachen. Aber die müsse sie sich jetzt ansehen. Sie hätte keine Zeit mehr. Sie solle zur Uniklinik gehen, dort sagen, dass sie Patientin sei, ihre Diagnose und Lebenszeitprognose nennen und sagen, dass ein erstes Gespräch zur Aufklärung und Weiterbehandlungen unglücklich verlaufen sei und dass sie nun dringend ein neuerliches Gespräch wünsche. Dort solle sie fragen, wie sich ihr Krebs voraussichtlich weiter entwickeln wird und wie sich das auf ihr Leben auswirkt, was also auf sie zukomme. Und sie solle dabei nicht auf die zeitliche, sondern die inhaltliche Entwicklung Wert legen. Und dann müsse sie fragen, wie eine Chemo speziell für sie sich auf sie und den Krebs auswirken könnte und welche begleitenden Behandlungen dazu Sinn machen würden und was diese bewirken könnten. "Du musst dir genau vorstellen können, was auf dich zukommt", fasse ich in einem Leitsatz zusammen. "Und bitte halte dein Temperament in dem Gespräch zurück. Auch wenn dein Gegenüber total kalt und herzlos redet. Es geht einzig um die Infos, die sind für dich wichtig. Die brauchst du. Dazu musst du die Person benutzen. Und nach denen musst du auch solange fragen, bis du sie alle zusammen hast. - Warmherzig begleiten wird dich zumindest in der Entscheidungsphase niemand. Du bist auf dich allein gestellt. - Und nach dem Gespräch bitte den Mensch um Verständnis, dass du das erstmal sacken lassen musst und dich erst in ein paar Tagen entscheidest. Du musst da nicht gleich der Chemo zustimmen oder sie ablehnen." Sie schämt sich, weil sie doch zuletzt so aufbrausend war und nun wieder angekrochen käme. "..., das versteht da jeder", sage ich," du hast eine der beschissensten Diagnosen und Prognosen, da sind solche Reaktionen nur natürlich, das wird dir niemand vorwerfen. Die würden sich auch so verhalten. Jeder will dann erstmal weglaufen oder aufwachen und alles war nur ein böser Traum."
Sie fängt wieder an zu springen: Ob sie nicht auch noch oder erstmal hier und da und dort anrufen solle. "Ja", sage ich, "das kannst du natürlich auch noch alles machen. Aber achte darauf, ob du es nur tust, um zu flüchten oder ob es dich auf einen geraden Weg zu einer Entscheidung führt. Du musst dich jetzt sehr bald entscheiden, das ist wichtig. Nicht hektisch und blind, aber du darfst jetzt auch keine Zeit verplempern. - Und denk dran, es geht bei dir nicht um Heilung, es steht auch nicht im Mittelpunkt, ob du ein paar Monate mehr oder weniger lebst. Es geht darum, dass du die kurze Zeit, die du nur noch leben wirst, zunächst auskostest und dann so wenig wie möglich leidest. Es geht bei dir ausschließlich um die Verbesserung der Qualität deines nur noch kurzen Lebens. - Dein Scheidenkrebs wird da nicht bleiben, wo er bislang ist, der wird in den Darm invasieren..." "Oder in die Blase", fügt sie hinzu. "Ja oder da hin", erwidere ich. "Das wird nicht schön. Es geht darum, das zu verzögern und Leiden zu mildern. Nicht die Behandlungen werden dir das Leben vermiesen, sondern der Krebs." "Ja, sie hätte sich schon überlegt ...", sie druckst ... Ich: "Dich umzubringen." Sie: "Ja." Sie wolle da nicht durch, das sei ja grauenvoll. Sie wolle lieber Schluss machen." "Das kann ich gut verstehen, das würde ich mir auch überlegen. Und das solltest du dir auch als Option offen halten. Es ist dein gutes Recht, in Würde auszusteigen, wenn du es für richtig hälst. - Aber tu mir einen Gefallen und tu es nicht verfrüht. Nimm den Sommer noch mit, den Spätsommer und vielleicht den Herbst..." "Nein", unterbricht sie, Spätsommer und Herbst, glaube sie nicht, noch im jetzigen Zustand zu sein. "Überleg dir das dann, wenn es sich verschlechtert. Jetzt geht es dir doch noch gut." Ob sie sich denn schon überlegt hätte, wie sie sich umbringen würde. Ja, sie wolle von einer Rheinbrücke springen. Da wäre Rettung quasi ausgeschlossen. Ob sie keine Angst hätte vor dem Ertrinken, frage ich. Nein, die hätte sie nicht. "Aber lass dich erst in der Uniklinik aufklären. Die Brücke läuft dir nicht weg." "Ja, das stimmt", sagt sie.
Ich sage ihr, dass sie eine Liste machen solle, bevor sie in das Gespräch ginge, damit sie nicht vergesse, welche infos sie brauche. Notfalls könne sie dem Arzt den Zettel sogar zuschieben, falls sie zu aufgeregt sei, das alles wohlsortiert zu fragen. Ich solle ihr kurz nochmal alles aufzählen, wünscht sie sich. "Nein", sage ich, "das weißt du alles selbst und du erinenrst dich auch noch an alles, das muss ich dir nicht diktieren. Setz dich hin und schreibe es in deinen Worten auf. Vertrau dir, du hast alles in dir." Ich betone nochmal, dass sie nach dem Aufklärungsgespräch erst alles sacken lassen und dann erst entscheiden soll. Bevor sie zusammenbreche, solle sie mich jedoch anrufen. Ansonsten erst dann, wenn sie sich entschieden hätte. Das müsse sie wirklich in Ruhe tun, damit sie den Weg, für den sie sich entscheide dann auch wirklich entschieden und in Ruhe einschlagen und gehen könne.
Ob sie denn die Mistelspritzen überhaupt weiter nehmen solle, fragt sie. Ich: Die seien doch offenbar in jedem Falle hilfreich und stünden auch einer Chemo nicht entgegen und da sie außerdem erst verzögert anschlügen, wie sie mir zuvor berichtet hatte, sei es doch ganz prima, dass sie damit bereits angefangen hätte, das solle sie auch schön so weiter machen. Das wäre doch klasse, dass sie sich das bereits organisiert hätte, so wäre sie doch schon mal teilversorgt. Das hätte sie toll geregelt.
Sie fragt, wie es mir mit meiner Chemo eigentlich jetzt ginge. Sie entspannt sich, ich höre sie im Hintergrund erst hantieren und dann essen. Ich berichte ihr kurz, schließlich sage ich, dass ich jetzt was kochen müsse, zumal ich sie schon eine Weile essen hörte. Sie lacht und sagt, was sie isst. Ich sage: "Okay, bis dann." Sie sagt, dass sie sich aber auch gerne einfach mal so mit mir unterhalten würde, es müsse und solle nicht immer um ihre furchtbare Situation gehen. Ich sage, dass es unweigerlich hauptsächlich darum gehen wird und dass wir uns jetzt gar nicht anders als so kennenlernen könnten, aber dass sie sich keine Sorgen machen solle, da ich niemand wäre, mit dem man Schönwetter reden müsse. Ich hätte absolut kein Problem mit ernsten, wesentlichen Themen. Das würde mich weder bedrücken, noch runter ziehen. Wenn ich zwischendurch lustige Entspannung bräuchte, würde ich schon selbst einen Witz einbauen, darauf könne sie sich gefasst machen. Sie lacht und wir verabschieden uns.

Im Verlaufe des Gesprächs hat sie mir ihren Befund vorgelesen, der Größe, Lage und Art ihrer Tumore beschreibt. Ihr Lungentumor ist noch etwas diffus, aber auf dem Vormarsch und sie hat nur noch diesen Lungenflügel. Ihr Scheidentumor ist groß und liegt direkt an der Darmwand. Aus sonstigen Berichten weiß ich, dass ihr Krebs sich blitzschnell entwickelt und außerdem eine weltweit sehr seltene Krebsvariante ist, die man kaum zu bremsen weiß.
Ich habe als Zukunftsaussicht auch schon mal den Begriff Hospiz eingestreut. Wie alles andere, war auch das bereits in ihrem verdrängten Bewusstsein dazu vorhanden.
Medikamente heute:
Cefasel zum Abendessen
; Akne-Behandlung 1x;  Absichtlich keine Wundsalbe für Narbenpflege

Reha heute:

Gymnastik


Meine Maläste heute:
Haarausfall schreitet fort; Steroid-Akne; Portschmerzen nur noch bei wenigen, ganz bestimmten Bewegungen. (Ich nehme mir vor, diese häufiger zu machen, damit nichts so verwächst, dass ich die Bewegungen nicht mehr machen kann.); Kein Stuhlgang

2. Tag Periode!

Essen, Getränke, Rauchen ganz normal

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Copyright © Ute Ziemes 2005