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OP+Klinikaufenthalt
Chronologischer Bericht
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Folgende OP wird durchgeführt werden,
damit der Tumor nicht weiter invasiert und damit er nicht streut:

Mir wird die Brust amputiert, die Haut des Brustmuskels entfernt und es werden mir ca. 10 der dem Tumor am nächsten liegenden Lymphknoten aus der Achsel heraus geschnitten.

Die Dauer des Klinikaufenthalts wird voraussichtlich 5-8 Tage betragen.

Tag 0/6 (Dienstag, 12.07.05):
Am Tag vor der OP noch zu Hause. Nach 22 Uhr darf ich nicht mehr essen und rauchen. Nach 24 Uhr auch nicht mehr trinken. Ich esse um kurz vor 22 Uhr zu Abend, rauche dann noch eine, und trinke kurz vor 24 Uhr literweise Wasser. Ich klebe mir für den nächsten Morgen zur Erinnerung einen Zettel auf's Frühstücksbrett: Nicht essen! , Nicht trinken! , Nicht rauchen!
Tag 1/6 (Mittwoch, 13.07.05):
Morgens um 7 Uhr in der Klinik. Zur Aufnahme, dann Telefon aktivieren und Bett und Spint in Beschlag nehmen. Meine Bettnachbarin scheint angenehm zu sein.
Man bringt mir OP-Kleidung (Eine Panty-Einmal-Unterhose, ein hinten offenes Hemdchen, Thrombose-Strümpfe, die aussehen, als müsse man sie mit Strapsen tragen.) und eine Tablette und einen einmal-Rasierer, um mich unter dem linken Arm zu rasieren. Später kontrolliert das eine Ärztin, will es besser machen, kann es aber nicht. "Frau Ziemes Sie müssen sich hinlegen." "Wieso?" frage ich vor mich hin. "Weil Sie von der Tablette jetzt einschlafen werden", informiert mich meine Bettnachbarin.
Irgendwann wache ich halb auf, weil man mich durchs Haus schiebt, mich entkleidet und an meinem Arm rumfummelt. Ich hatte so toll geschlafen, dass ich nur einen Wunsch habe: Das Narkosemittel soll meinen Schlaf genauso schön fortsetzen.
Als ich um 12.15 Uhr aufwache sind einige Leute um mich rum. Sie reden mit mir. Ich verstehe aber noch nicht gleich alles. Anhand der starken Schmerzen, die ich nun in meiner linken Brust spüre, wird mir klar, dass die OP hinter mir liegt.  Und wie es meinem Gemüt entspricht, beginne ich nun zu reden. "Hey, ist die OP schon vorbei?" - "Wow, ich habe toll geschlafen." - "Echt klasse, sie haben einen schönen Beruf." - Na ja, ich stehe halt noch unter Drogen. (Die rauschhaftesten Äußerungen habe ich übrigens mehrmals leidenschaftlich wiederholt.)
"Haben Sie Schmerzen?" erreicht mich jetzt auch das, was man von mir wissen will. Als ich bejahe, soll ich die Stärke auf einer Skala von 1 bis 10 einordnen. "7", antworte ich spontan. Daraufhin kippt man mir die volle Schmerzmittel-Dröhnung in den Tropf.
Jemand von der Etage, auf der ich liegen werde, holt mich ab. Meine Schwestern seien schon da, sagt sie. Das darf ja wohl nicht wahr sein, denke ich, das hatte ich denen doch verboten, am ersten Tag so früh da aufzutauchen. Erst wollte ich mich alleine an meine Situation gewöhnen. Als ich aber in's Zimmer gefahren werde, ist da niemand. Nur ein Stoff-Schwein und eine Kleeblatt-Pralinendose liegen auf meinem Nachttisch. Aha, sie sind also wieder abgehauen und haben mir Glückssymbole hinterlassen. (Ich brauche viel Glück, hatte ich zuvor verkündet.)
Auf dem Zimmer wird das Personal gebrieft: "Sie darf keine zusätzlichen Schmerzmittel mehr haben." Ich selbst habe sowieso ein anderes Problem: "Ich habe Hunger!" rufe ich blind in die Menge.
Erstmal dürfe ich aber noch nichts essen. Dann entwickelt sich sowieso sehr bald elende Übelkeit und ich übergebe mich hin und wieder, ohne, dass ich was im Magen hätte. Das käme vom Schmerzmittel, sagt eine Schwester, das käme von der Narkose, sagt meine Bettnachbarin. - Später bringt man mir Zwieback und Kamillentee. Ich esse und trinke. Wenig später landet alles jedoch in der Kotzschale. Verdammt, denke ich. Gut aber, dass es so schnell wieder hoch kam; denn so schmeckte es wenigstens noch einmal so gut wie auf dem Hinweg.
Ich solle heute ruhig mal aufstehen und z.B. zur Toilette gehen, sagt man mir. Ich denke, die spinnen, tue es aber später doch, weil ich mal muss. Als ich aufstehe, entdecke ich die beiden Wundsekretbeutel, die an mir hängen. Schläuche, aus meiner Wunde heraus führen zu ihnen. Zum Glück habe ich darüber mal in einer Broschüre gelesen, sonst würde ich das jetzt gar nicht kapieren. Ich wandere also mit meinem Tropfständer und meinen Wundsekretbeuteln zum Klo. Meine Bettnachbarin kommt hinterher, wie ich feststelle. Sie hält mir die Tür auf. Zum Glück. Auf`s Klo soll sie aber nicht mit.
Nachher sagt man mir, dass ich das doch nicht alleine hätte machen sollen, dass das doch viel zu gefährlich wäre. Ein Missverständnis also. Aber deren Schuld. "Rufen Sie uns dann", hatten die nämlich nicht gesagt.
Die Operateurin schaut nach mir. Sie fragt, wie's mir geht. Ich erwähne, dass mir übel ist. Sie sagt, dass sie Bescheid gibt, dass man mir dagegen etwas geben soll. Es kommt aber keine Schwester. Später spreche ich eine darauf an. Wieder ein Missverständnis. Anfangs hätte man mir etwas mit in die Tropfflüssigkeit gegeben, nachher hätte ich mich nicht mehr gemeldet, wenn ich mich übergeben musste. "Wieso soll ich melden, dass ich mich übergebe? Ich will doch nix gegen das Übergeben, sondern gegen die Übelkeit davor. - Und die Operateurin sagte, sie melde meine Übelkeit erneut." Tja, sie bleibt dabei, das soll angeblich mein Fehler sein. - Und ich bekomme übrigens auch kein Mittel mehr nach. Ach, leck mich, denke ich. Für mehr fehlt mir die Kraft.
Abends gibt's eine Thrombosespritze in's Bein und ich bitte um eine neue Portion Zwieback und Tee. Ich hoffe, dass die Übelkeit irgendwann nachlassen wird und ich dann essen kann.
Abends kommt kurz eine Freundin. Ich sehe an ihrem Blick, dass ich ein elendes Bild abgebe. Aber, wer tut das nicht, wenn ihm übel ist. Meine Haut ist jedenfalls toll zart. Ich hatte im Gesicht seltsam gleichmäßig transpiriert, Irgendeine Dröhnungskomponente bewirkt das wohl.
Irgendwann wird die Tropfflüssigkeit erneuert.
Immer wenn ich aufwache sehe ich als erstes das Schwein und das Kleeblatt. Die Teile waren eine nette Geste. Aber ich hasse Kitsch. Also verstaue ich ihn irgendwann in der Schublade. - Ah, so ist es besser.
Tief in der Nacht ist es soweit. Ich wache auf und warte kurz, ob mir noch übel wird. Dann setze ich mich auf und esse und trinke. (Meine Bettnachbarin tut mir leid, weil der Zwieback so laut ist.) Siehe da, es bleibt drin. Das wäre also geschafft. Und ich freue mich schon auf's Frühstück.
Eine Schlafposition zu finden, ist schwierig; fast jede schmerzt in der Brust. Nur 1,25 Positionen sind möglich. Der Rücken scheint außerdem bald durchzubrechen. Das habe ich immer, wenn ich länger als 8 Std. liege. (Dauerhaft bettlägeriger Pflegefall zu sein, wäre für mich daher eine Höllenfolter, keinesfalls human, sondern grausam.) Ab ca. 5 Uhr setze ich mich immer wieder mal auf den Bettrand, weil ich nicht mehr liegen kann.
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Tag 2/6 (Donnerstag, 14.07.05):
Man leert meine gut gefüllten Wundsekretbeutel (erst, wenn nur noch ganz wenig läuft, wird man sie mir ganz abnehmen), misst Blutdruck und Temperatur und trennt mich vom Tropf. Die Frage "Hatten Sie Stuhlgang?" erinnert mich daran, dass ich diesen hier möglichst bald und täglich haben muss. Heute hatte ich keinen. Wovon auch. Ich frühstücke ausgiebig.
Der Brustbereich schmerzt und jede Bewegung, die da rein zieht, schmerzt stark. Größere Bewegungen als ganz kleine oder größerer Krafteinsatz als ganz wenig mit dem linken Arm schmerzen stark und sind quasi nicht möglich.
Eine Physiotherapeutin trifft mich total verspannt an. Sie rüttelt sanft an mir. Wenn sie rechts rüttelt, wird die linke Seite skeptisch und meldet vorsichtshalber Schmerz. Wenn sie links rüttelt, kann die Seite die Situation besser beurteilen und entspannt sich. Sie zeigt mir Übungen, die ich machen kann. Ich muss langfristig die Beweglichkeit von Arm und Schulter wieder hinkriegen. (Ich kann den Arm nicht heben und nicht belasten, mit ihm keine Klinke runter drücken oder Tür aufziehen und mit ihm keine üblichen Oberteile alleine an- und ausziehen.)  Erstmal steht aber nur an, dass der Verletzte Bereich merkt, dass er noch lebt, dass man ihn aber nicht überfordern wird, sondern ihn nur machen lässt, was er aktuell kann. Schmerz muss vermieden werden, sonst kann da nichts heilen. Schmerzmittel und auch ein Kissen soll ich mir geben lassen, damit ich den Arm entlastet lagern kann und ich mich nicht vor Schmerz verspanne. Die Gymnastik macht man im Liegen und Außenstehende sehen sie gar nicht, so klein sind die Bewegungen, vornehmlich in den Beinen und im unteren Rücken. Ich beschaffe mir eine Schmerztablette und ein Laken zum Zudecken (es ist heiß). Das dickere Zudeck werde ich als flexibles Armkissen nutzen.
Die Operateurin schaut nach mir. Sie fragt, wie's mir geht, erzählt mir, dass 2 der entnommenen Lymphknoten auffällig gewesen wären, die Labor-Befunde in ca. 2 Wochen da sein werden und sie schaut sich Wunde und Verband an. Der sitzt schief. Also öffnet sie ihn und wickelt ihn neu.
Immer wieder mal läuft Wundsekret neben die Schläuche, weshalb Schwestern mir irgendwann unzählige zusätzliche Mullstücke unter meinen Verband gesteckt haben. Das so aufgefangene Sekret trocknet aus und drückt schmerzhaft. Später wird die Nachtschwester mir alle Mullstücke wieder raus pulen müssen.
Man kann mich auf meinem Telefon nicht anrufen, weil es von der Zentrale gesperrt ist. Ein Fehler, der 1 Stunde nach Meldung behoben ist.
Ein Pfleger bringt mir Listen aus denen ich mir das Essen ab morgen aussuchen darf. Meine Nachbarin kriegt das nicht, warum auch immer. Sie muss essen, was ihre Vorgängerin angekreuzt hat.
Meine Mutter und eine meiner Schwestern kommen vorbei. Sie bewundern meine Kleidung, die Beutel, den Verband und schauen skeptisch auf den Bluterguss, der geschwollen aus dem Verband ragt. Das ginge weg, beruhige ich.
Eine Freundin kommt nun noch vorbei. Ich bitte sie, meine Krankmeldungen fuer mich zur Post zu bringen und mir, bis zum nächsten Besuch, Gummilatschen für's Duschen zu besorgen; denn die Schwestern meinten, ich sollte demnächst Duschen. Ich glaube zwar nicht, dass ich das möchte, weil meine Instinkte etwas anderes sagen, aber wenn doch, dann will ich da nicht barfuß stehen.
Kurz vor dem Abendessen gibt's wieder eine Thrombosespritze.
Abends kommt die Freundin, die auch gestern schon dagewesen war. Sie stellt schließlich fest, dass es mir schon wieder viel zu gut ginge, wie man an meinen Äußerungen hören könnte.
Ein wenig habe ich Angst vor dem Schlafen. Zum einen wegen der Schmerzen und Unflexibilität, zum anderen weil ich doch meist Schlafstörungen habe. Wie soll ich dann nur die Zeit rumkriegen? - Ich habe aber Glück und schlafe ein und fast auch durch.
Hemd + Beutel
Hemd + Wundsekretbeutel
Thrombosestrümpfe
Thrombosestrümpfe

Verband
Druck(Quetsch)verband


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Tag 3/6 (Freitag, 15.07.05):
Morgens ziehe ich mich um. Raus aus der Klinik-Tracht, rein in meinen String-Tanga, in eine sehr kurze Sweathose und in mein Top mit bindbaren Trägern. Alles Ton in Ton und komplementär zu den Wundsekretfarben. Auch werde ich zumindest ein wenig Stuhlgang haben, da ich das nicht dem Zufall überlasse, sondern per Kaffetrinken und Rauchen pusche. Schließlich ist man hier mit Stuhlgang wer.
Es gibt ein Rauchergärtchen im Erdgeschoss. Als ich zur Durchführung des oben genannten Plans in meinem heißen Höschen dorthin losziehen will, meint meine Bettnachbarin, dass ich mir doch was überziehen solle. Ich ziehe mir ein Kleid über. Aber eigentlich nur, weil ich damit die Wundsekretbeutel überdecken will; denn da laufen auch Leute rum, die sowas vielleicht nicht vertragen, fällt mir ein.
Der Verband wird entfernt. Ob der Pfleger dabei sein dürfe?, fragt die Schwester. Aber klar, antworte ich. Und weil der Pfleger besonders nett ist, ergänze ich, dass ich mir, ganz im Gegenteil, auch so viel Interesse an der Brust gewünscht hätte, als sie noch da war.
Die Physiotherapeutin rüttelt und massiert an meinem Rücken und zeigt mir weitere Übungen. Sie freut sich, dass ich nicht mehr so verspannt bin.
Die Operateurin kommt vorbei und schaut sich das Zwischenergebnis an. Sie ist sichtbar stolz. Wie es mir damit ginge, fragt sie. Ich sage, dass ich damit schon klar käme. Später fällt mir auf, dass meine Antwort schräg war. Ich kann's nicht mehr ändern und hoffe deshalb, dass sie meine spontane Antwort abstrahieren kann oder, dass ich ein andermal Gelegenheit haben werde, ihr Werk für sie sichtbar anzuerkennen; denn tatsächlich tue ich das.
Die Freundin, die mir die Gummilatschen besorgen sollte, kommt vorbei und hat sie dabei. Ich bitte sie nun noch, mir bis morgen Flohsamen (sowas wie Mini-Leinsamen) und Milchzucker aus dem Reformhaus mitzubringen. Eingerührt in Joghurt und dazu 1 Liter Wasser getrunken, hat man auf jeden Fall Stuhlgang, wenn er sonst auch streiken wollte. (Später werde ich es aber gar nicht benötigen.)
Ein Freund kommt dazu. Er hatte auch eine OP - an der Hand. Eine weitere Freundin ruft außerdem an. Wir setzten uns zu dritt eine Weile in's Rauchergärtchen und erzählen.
Als ich wieder in's Zimmer komme, erzählt meine Bettnachbarin, dass ich eine Chefarzt-Visite verpasst hätte. Das ganze Personal wäre sehr aufgeregt um den Chefarzt rum gesprungen (wie es wohl nur med. Personal kann) und er hätte zu mir gefragt, weshalb mir die Brust denn amputiert worden sei. Die diensthabende Ärztin hätte nicht gleich zu antworten gewusst, schließlich aber gesagt, dass der Tumor groß und die Brust im Verhältnis dazu klein gewesen sei. (Eine Antwort, wie aus einer Krebsbroschüre vorgelesen.)
Meine Bettnachbarin hat mir außerdem massenhhaft Infomaterial besorgt. Ich sortiere es nach 'Abzocke' und 'Brauchbare Info'. Da ich das laut tue, unterbricht mich meine Bettnachbarin, als ich einen Kosmetikkursus (Tipps, wie man Nebenwirkungen der Chemotherapie übertünchen kann.) auf den Haufen 'Abzocke' lege. Das sollte ich mir aber noch mal überlegen. Wenn mir die Wimpern und Augenbrauen ausgefallen wären, könnte vielleicht selbst ich das gebrauchen. - Oh, ich hatte immer nur an Haupthaar gedacht. Horror. - Nun erzählt sie auch noch von ekeligen Nagelbettveränderungen. Ich rufe: "Stop!" Ist klar, ich habe verstanden. Der Zettel landet auf dem 'Brauchbar'-Haufen. Ach, ich tu da jetzt alle drauf.
Um ca. 18 Uhr gibt's die obligatorische Thrombosespritze. Wohin ich sie wolle ? Hier, in mein Junky-Bein. Da hatte ich die anderen auch schon hingekriegt. Der Pfleger fragt, ob wir sonst noch was bräuchten.  "Wie, was denn z.B.", fragt meine Bettnachbarin unsinniger Weise. Der Pfleger nennt einige Beispiele, zu guter letzt gehört dazu: "Was frisches für`s Bett?" Wir müssen natürlich lachen und wünschen uns das. (Er meinte, ein Laken oder sowas.)
Ich gehe direkt im Anschluss wieder rauchen, wobei mir einfällt, dass ich gar nicht weiß, was in der Thrombosespritze drin ist und ob das zusammen mit meinem Rauchen evtl. so wirkt, wie Hormone + Rauchen. Morgen werde ich fragen.
Mir wird klar, dass man glauben könnte, ich hätte jetzt das Schlimmste geschafft. Tatsächlich aber geht es ja demnächst erst richtig los und dauert das ganze dann ewig. Ich muss also alle briefen. Denen muss klar sein, dass ich monatelang elend drauf sein werde. Und zwar von Behandlungen und Medikamenten und nicht vom Krebs. Denn mir fällt ein, dass, aufgrund fehlender Aufklärung, auch ich es früher so wahrgenommen hatte, dass das ewig andauernde Elend, als (schlechter) Krankheitsverlauf einzuordnen wäre. Es ist aber gar kein Krankheitsverlauf, sondern es handelt sich um die Nebenwirkungen der Therapien. Und bei mir sind diese zudem voraussichtlich reine Prophylaxe. Ich mache mir selbst den Zeit- und Inhaltsplan klar: Ca. 3 Wochen heilen; dann ca. 3 Wochen Bestrahlung mit Schmerzen, dann wahrscheinlich erst wieder 2-3 Wochen heilen, dann Chemotherapie, die voraussichtlich mindestens 4 Monate dauert und mit elenden Unpässlichkeiten und äußeren und inneren Zerstörungserscheinungen einhergehen wird. Diese Phase kann sich sogar extrem in die Länge ziehen, falls meine weißen Blutkörperchen immer wieder schlapp machen sollten und somit die Therapiefortsetzung immer wieder unterbrochen werden muss, damit deren Zahl sich erst wieder erhöhen kann. Außerdem muss ich Ansteckungsgefahr während dieser Zeit unbedingt vermeiden, da ich Erregern absolut nichts werde entgegensetzen können. Also kaum öffentliches Leben und Kontakte. Danach wahrscheinlich erstmal zumindest etwas regenerieren. Und dann schließt sich die Hormontherapie an, bei der ich in die Wechseljahre versetzt werde. Schließlich muss ich mich komplett regenerieren und erholen, ggf. in Kur, meine Nägel und Haare wieder wachsen lassen und zu/r Rehabilitation/en. Alles in allem bin ich wohl erst in 1 Jahr die Ute nach dem Brustkrebs, wie mein Hausarzt voraussagte.
Abends kommt eine Freundin vorbei, sie ist die erste, die ich briefe. Ihr fällt sofort ein, was sie in der elenden Chemo-Phase für mich tun kann: Ab + zu für mich mitkochen und mein Tiefkühlfach damit auffüllen.
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Tag 4/6 (Samstag, 16.07.05):
Der Pfleger kommt mit einer Blutdruckmessmaschine in's Zimmer. Sie ersetzt sein Pumpen und hält für ihn die Ergebnisse fest. Er sagt aber etwas fehlerhaft, dass dies ein vollautomatisches Blutdruckgerät wäre. "Ah, toll, dann muss ich ja selbst keinen mehr haben", sage ich.
Bei der Visite fragt mich die Ärztin, ob ich denn jetzt zufrieden sei. (Sie ist die, der ich eine Woche zuvor meine Unzufriedenheit vorgetragen hatte.) Ja sehr, sage ich. - Man könnte mir die Wundsekretbeutel schon abmachen, sagt sie, sie empfehle jedoch, sie vorsichtshalber noch einen Tag länger dran zu lassen, da die heutige Menge grenzwertig sei und der bisherige Verlauf nicht sicherstelle, dass es deutlich weniger würde. Das müsse sonst alles mein Körper abbauen. Das gleiche hatte ich mir morgens auch schon gedacht. Ich bin froh, dass sie das anspricht und ermöglicht.
Ich habe kaum Schmerzen, weshalb ich heute morgen keine Schmerztablette nehme.
Wegen Wochenende kommt die Physiotherapeutin nicht.
Am späten Vormittag besucht mich eine Freundin und bringt eine Nussmischung und eine Wochenendzeitung mit. Ich zeige ihr meinen Oberkörper, erzähle wie alles bisher gelaufen ist und briefe sie für weiteres.
Etwas später besucht mich die Freundin, die mir die Sachen aus dem Reformhaus besorgt hat.
Nach dem Mittagessen will ich gaaanz lange die physiotherapeutischen Übungen machen, schlafe dabei aber recht früh ein. (Später wird mir klar, dass das wieder mal von meinem Einschlafen nach dem Essen kam.)
Nachmittags tauchen meine Mutter und zwei meiner Schwestern auf. Sie wecken mich quasi und bringen einen Haufen Zeug mit. Wir trinken Kaffee, ich zeige denen, die es vertragen können, meinen Oberkörper. Außerdem briefe ich sie sehr lange. Das mache ich außerdem so intensiv, dass ich meine Angst vor der langen Chemo-Phase erstmals ganz zulasse und somit deutlich spüre.
Zwischendurch ruft eine Freundin an.
Heute stelle ich meine Frage zur Thrombosespritze, nachdem ich sie erhalten habe. Ergebnis: Rauchen ist natürlich doof, Rauchen + Spritze reagieren aber nicht miteinander.
Im Rauchergärtchen ermutige ich einen sehr bedrückten Mann, sich zu mir auf die Bank zu setzen und mir zu erzählen, was ihn bedrückt. Bei seiner Verlobten, die dachte, sie sei jetzt endlich geheilt und könne in wenigen Tagen zu Hause ihren Geburtstag feiern, wurde soeben neuerlich Krebs diagnostiziert. Der Scheidenkrebs, den man im März dieses Jahres festgestellt hatte und den man zwischenzeitlich entfernen und heilen konnte, war zuvor aber leider doch schon in den Darm invasiert. "Verdammt", sage ich, "ist das ärgerlich und enttäuschend." Er: "Das kann man wohl sagen."  ----- Ich: "Das liegt aber auch alles so nah beieinander und man kann ja leider nicht reinsehen und den Herd exakt abgrenzen. -- Wie ärgerlich." Er: "Ja, das hatten wir uns ganz anders vorgestellt. - - - [Er kämpft mit Tränen. --- Ich lege meine Hand nicht auf seinen Arm, obwohl ich so fühle. Und strahle Worte aus, die nicht reichen und die ich deshalb nicht sage.] --- Aber wie sagt man, die Hoffnung stirbt zuletzt. Die halte ich hoch." ----- Ich: "Und sie ist berechtigt. ----- Wenn es auch nicht leicht ist, sie nach so einer Enttäuschung erneut aufzubringen. --- Auch, wenn es hätte jetzt schon vorbei sein sollen. ----- Auch dieser Krebs hat eine Heilungschance." Er: "Das schaffen wir auch noch. Wir sind seit 6 Jahren zusammen. Wir haben schon einiges zusammen durchgemacht. Das schaffen wir auch noch." Innen wird jetzt eine Patientin im Bett durch den Gang geschoben. "Da, das ist sie", sagt er und verabschiedet sich. Ich wünsche ihm und seiner Verlobten viel Kraft und viel Glück. Er bedankt sich mit einem Blick und einem Nicken und der Anmerkung, dass sie das brauchen können.
Gegen Abend beginnen, statt wie bisher in der Brust, Schmerzen in der Achsel und dem Arm. Zuerst finde ich das blöd, dann wird mir aber klar, dass das toll ist, weil der Bereich vorher taub war und sowas sogar ewig bestehen bleiben kann. Die Schmerzen zeigen also, dass die Taubheit sich auflöst und mein Körper den Bereich wieder in Besitz nehmen will. Wow, denke ich, tolles Eigenleben, super Wille. - Jedenfalls nehme ich nun wieder eine Schmerztablette.
Abends ruft mich eine Freundin an.
Ganz in der Nähe feiern irgendwelche Menschen eine Party mit Open-Air-Effekt, Marke 'Extrem lautes Volksfest'. Sie beginnen abends und feiern bis in die Nacht. Wäre ich schwerkrank, würde nun mein Leben vor mir abgespult; denn das Partypublikum ist offenbar älter; der DJ legt ausschließlich Massen-Partykracher ab meiner Jugend bis zu meinem 40. Lebensjahr auf. Haben die denn gar nichts zu der Umgebung ihres Veranstaltungsortes recherchiert? Oder sind die so respektlos? Schwerkranke sind dem hilflos ausgeliefert und fühlen sich nachweislich im falschen Film. Schlafen ist unmöglich. Um kurz vor 24 Uhr rufe ich beim Pförtner an und bitte ihn, mir die Nummer der Polizeiwache Lindenthal zu geben. Wieso? will er wissen. Ich wolle, dass die den Krach da draußen abstellen. Ach so, sie meinen die Musik aus der Mensa. Ja, wo auch immer das herkäme. Ihm wird klar, dass das eigentlich seine Aufgabe wäre und er kümmert sich drum. 20 Min. später wird die Musik mitten in einem Lied abgestellt. In den Räumen geht's da offenbar weiter, aber das hört man kaum.
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Tag 5/6 (Sonntag, 17.07.05):
Der Sonntagsarzt ist empört, dass er die Schläuche rausholen muss. "Hätte doch gestern gemacht werden müssen." Sein Pech, denke ich, für mich ist es so besser. Und, will der denn nur den Gang entlang gehen ?
Das einschneiden und ziehen der Fäden, mit denen die Schläuche fixiert sind, piekst nur wenig. Das Entfernen einer der Schläuche spüre ich deutlich. Fühlt sich eklig an, als würde man einen Wurm durch meine Brust ziehen. Zum Glück ist es schnell vorbei.
Meine Thrombosestrümpfe sind ausgeleihert und nützen noch soviel wie meine eigenen Söckchen. Ich kriege daher neue. Der Pfleger kann sie mir höchst professionell anlegen. Besser und schneller als ich selbst das mit meiner Feinstrumpfhosentechnik könnte.
Das Mittagessen ist heute köstlich. Rinderroulade mit viel Soße, Kloß und Rosenkohl. Ich sage dauernd "Mmh, ist das lecker" und nerve damit meine Bettnachbarin. Die Ärmste kriegt aber auch nie etwas, das schmeckt.
Nach dem Mittagessen mache ich die physiotherapeutischen Übungen alleine. Ich schlafe dabei aber immer wieder ein und nach den Übungen schlafe ich ganz. Erst 4 Std. später wache und stehe ich auf.
Um 18 Uhr gibt's die Thrombosespritze.
Abends kommt eine Freundin zu Besuch. Noch später ruft eine meiner Schwestern an.
Schließlich steht TV auf dem Programm. Ein netter Film mit Meg Ryan, die ich so mag.
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Tag 6/6 (Montag, 18.07.05):
Die Morgen-Visite ergibt, dass ich entlassen werden kann. Ich werde von einem übergeordneten Arzt nochmal begutachtet. Man wird sich bei mir melden, wenn die Labor-Ergebnisse da sind und sie mir dann in einem Gespräch mitteilen und das weitere Vorgehen mit mir besprechen. Was denn mit den Fäden wäre, frage ich. Die würde man dann auch gleich ziehen, sagt er. Auch die Narbenpflaster würden von ihnen entfernt. Ich dürfe mich übrigens duschen.
Da ich meine Akte rumtragen muss, sehe ich, dass in den durchsichtigen Aktendeckel ein riesiger Zettel eingeschoben ist, auf dem steht, dass ich mich über Dr. ... beschwert habe. Und mit der Seite nach oben liegt die Akte immer überall rum. Okay, für mich war das sicher gut, weil so wahrscheinlich verhindert wurde, dass er mir während meines Aufenthalts begegnete. Die Akte lag aber mit dieser Seite nach oben heute morgen ca. 1 Std. auf meinem Bett rum und meine Bettnachbarin wurde von diesem Arzt operiert. Sie hat auch glatt was über ihn zu meckern, als ich von dem Entlassungsarzt zurück komme.
Ich habe meine Physiotherapie. Als ich mein Oberteil ausziehe und meine Haare selbst zusammenbinde, bemerkt die Therapeutin: "Aha, fast schon 90 Grad, sie machen enorme Fortschritte." Na ja, so nah an 90 Grad ist das nicht, aber sie hat recht, man sieht, dass mein Körper das anstrebt und Tricks erfindet, die das wenigstens schon mal immitieren. "Ja, auch ich bin zufrieden", sage ich. Und etwas kokettierend: "Ich habe auch täglich meine Übungen gemacht." "Ich dachte mir, dass sie so schnell voran kommen. Sie haben eine außergewöhnlich gute Körperwahrnehmung", sagt sie. "Tja, leider höre ich oft nicht auf sie", merke ich traurig an. Heute massiert die Therapeutin hauptsächlich meine Wirbel. Das wirkt sowas von entspannend und öffnet meinen ganzen Brustkorb und belebt ihn sanft. Während sie massiert, erzähle ich, dass mir die Therapie und die Übungen sehr helfen und gut tun. Sie brächten mir auch deshalb so viel, weil ich eh annähme, dass das, was ich aus dieser Krankheit für mich rausziehen kann, wohl auch im körperlichen Bereich läge. "Aha", sagt sie überrascht, "das kann sein."  "Mehr Wertschätzung, Achtung und Einklang mit ihm, wäre z.B. gut, ich übergehe ihn so oft", ergänze ich. Sie sagt dazu nun etwas, an das ich mich nicht mehr erinnere; denn ...
Die diensthabende Ärztin kommt rein und sagt mir etliches. Ich weiß gar nicht mehr was. Es war jedenfalls viel und es ging um wichtige Infos. Eigentlich aber hatte ich mich gerade dafür interessiert, was die Physiotherapeutin zu sagen hat und konzentrierte mich auf die Therapie. (Das geht bei ihr zusammen, weil ihre Sprechmelodie zur Therapie passt.) Jetzt aber verspanne ich mich und kriege von gar nichts mehr was mit. Wie um alles in der Welt soll ich mich intensiv auf zwei so unterschiedliche Dinge konzentrieren? Und geht mir jetzt die Zeit von der Physiotherapie ab? Denn die Therapeutin hört nun auf, weil es so keinen Sinn macht. Ich überlege kurz, ob ich die Unmöglichkeit der Situation jetzt auch mal sagen soll, lasse es dann aber.
Bevor die Ärztin gehen will, erzählt ihr die Physiotherapeutin leidenschaftlich von meinen enormen Fortschritten ... . Wie süß, denke ich, sie glaubt, dass es die Ärztin interessiert. So, als wären Ärzte Bewacher eines med. Gesamtkonzepts. Perlen vor die Säue, denke ich. Die Ärztin hat offensichtlich die Ohren schon verschlossen und wartet nur noch, dass sich der Mund der Therapeutin nicht mehr bewegt, bevor sie geht.
Als die Ärztin wieder weg ist, macht die Physiotherapeutin weiter und ich sage: "Sehen Sie, der Körper muss immer warten." "Ja, das muss er auch manchmal", sagt sie. Tja, manchmal ist das wahrhaft notwendig, aber das jetzt war unnötig, denke ich. Und für mein pädagogisches Ziel mir selbst gegenüber sogar extrem kontraproduktiv. Ich frage die Therapeutin noch, wie es denn jetzt ihrer Meinung nach weiter gehen soll. Also, wie lange ich noch im Tischhöhenbereich bleiben soll, welche Übungen ich danach machen kann und wann es voraussichtlich höher als 90 Grad gehen kann. Sie rät mir mit Luftballons zu arbeiten, sobald ich merke, dass ich mehr kann, als bislang, später auch mit Bällen und dass ich schätzungsweise nach ca. 6 , frühestens 4-6 Wochen so weit sein würde, in den Bereich über 90 Grad zu gehen. Dazu solle ich mich aber anfangs unbedingt physiotherapeutisch begleiten lassen. 6 Sitzungen wären nötig. Die zahle die Kasse und müsse und würde mir mein Arzt dann verschreiben, wenn ich ihn darauf anspräche. Ich bedanke mich und sage ihr nochmal, dass mir die Therapie sehr sehr viel gebracht hätte. Sie wiederum verabschiedet sich mit den Worten: "Es macht Spaß, mit jemandem zu arbeiten, der so ein gutes Körpergefühl hat."
Ich packe meine Taschen. Als ich gerade fertig bin und eine Freundin anrufen will, um sie um Unterstützung zu bitten, klingelt das Telefon und sie ist dran. Prima; denn ich kann nur noch eine der beiden Taschen selbst tragen.
Ich frühstücke noch, trage die Taschen bis unten erstmal nacheinander selbst; denn ich muss noch mein Telefon abrechnen, mich abmelden und meine Zuzahlung leisten. Der Raum für letzteres ist weiter weg. Die Pförtnerin ist so nett und achtet auf meine Taschen, so, dass ich sie kurz vor ihrem Häuschen stehen lassen kann.
Anschließend werde ich nach einer Zigarettenlänge vor dem Klinikeingang abgeholt.
Abends fällt mir auf, dass meine gezuckerten Erdbeeren noch in der Klinik im Patientenkühlschrank stehen. Tja, das wird eine Schweinerei.
Zwischenergebnis
Zwischenergebnis
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Ich bin jedenfalls sehr zufrieden und habe nun Hoffnung gegenüber allem, was noch kommt.
Zufriedenheit


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18.07.05
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